Geburtshilfeschadensrecht – Die Armplexuslähmung und seine rechtlichen Folgen

Der Artikel handelt von typischen Fällen einer Armplexuslähmung, die auf einen Geburtshilfefehler zurückgehen und behandelt drei Musterfälle, wie sie tatsächlich entschieden wurden mit unterschiedlichem Ausgang. Er zeigt auf, wie die Chancen eines solchen Verfahrens einzuschätzen sind und worauf es hierbei im Wesentlichen ankommt.

Ina* (*= Name geändert) musste schon kurz nach der Geburt eine Operation über sich ergehen lassen und dann lange Zeit Physiotherapie durchführen. Ihren linken Arm kann sie bis heute nicht vollständig bewegen. Er ist kleiner als der rechte Arm und sie wird deswegen oft gehänselt. Die Geburt von Ina, so erzählen die Eltern, war kompliziert, mit zeitweiligem Geburtsstillstand und einem Dammriss verbunden. Im Geburtsprotokoll heißt es, dass eine Makrosomie (übergroßes Kind) vorläge. Von einer Schulterdystokie war nicht die Rede, aber der Verdacht lag nahe, dass eine solche vorgelegen hatte und bei der Geburt des Kindes falsch vorgegangen worden ist.

Bei dem kleinen Fritz lagen ähnliche Probleme vor, jedoch weniger ausgeprägt und bei ihm war der rechte Arm betroffen. Eine Operation fand nach der Geburt nicht statt, dagegen zahlreiche Physiotherapiesitzungen. Auch hier erzählten die Eltern, dass bei der Geburt die Schulter „hängen geblieben“ und am linken Arm gezogen worden sei.

Ähnlich waren die Folgen eines Geburtsschadens bei Carolin. Nach drei Operationen und lange Zeit der Physiotherapie verblieben eine stark abgeschwächte Handfunktion, keine Ellenbogenfunktion und eine deutliche abgeschwächte Schulterbeweglichkeit. Dies entspricht einem vollständigen Armfunktionsverlust. Nachdem ein Geburtsstillstand eintrat, wurde versucht, das Kind mit Hilfe einer Saugglocke zu entwickeln. Bei dem dritten Versuch rutschte diese ab. Erst mit Hilfe einer Geburtszange konnte das Köpfchen entwickelt werden. Doch dann trat eine Schulterdystokie ein. Aufgrund der geringen Herzfrequenz war Eile geboten. Die Dokumentation des Geburtsprotokolls war in dieser Situation daher sehr lückenhaft.

Alle drei Fälle wurden durch Gerichte entschieden. Obwohl die beiden ersten Fälle sich scheinbar sehr ähnelten, hatte nur das Verfahren für die kleine Ina Erfolg. Bei ihr stellte der gerichtliche Sachverständige fest, dass alle Nervenwurzeln C5-C8 geschädigt waren und dies nur durch eine enorme Kraftaufwendung entstehen kann, was im Uterus nicht möglich ist. Hier lag der Ausnahmefall vor, dass vom Schaden auf den Fehler geschlossen werden konnte. Weil keine andere Ursache für die Armplexuslähmung in Frage kam, konnte angenommen werden, dass der Schaden durch unsachgemäßes Ziehen durch einen Geburtshelfer entstanden ist. Entsprechend haben diese entweder die Schulterdystokie übersehen oder sie erkannt, aber dann fehlerhaft darauf reagiert. Bei einer Makrosomie ist immer mit einer Schulterdystokie zu rechnen. Im Urteil des OLG Oldenburg vom 15.10.2014, (Gz. 5 U 77/14) heißt es, dass die Schulterdystokie einen absoluten Notfall darstellt. Sie läge immer dann vor, wenn nach Geburt des Köpfchens die Schulter sich nicht mit der zweiten oder dritten Wehe danach entwickelt habe. „Als Ursache dafür kommt nur eine Schulterdystokie, ein Festhängen der Schultern hinter der Symphyse, in Betracht. Bei Vorliegen einer Schulterdystokie seien umgehend folgende dokumentationspflichtige Maßnahmen zu ergreifen: 1. Mc Roberts-Manöver, 2. Abstellen eines evtl. laufenden Wehentropfes 3. Ggf. Wehenhemmung, 4. Großzügige Erweiterung der Episiotomie, 5. Ggf. suprasymphysärer Druck, 6. Innere Rotation der vorderen Schulter (Rubin-Manöver), 7. Lösen der hinteren Schulter (Woods-Manöver).“ Nichts davon war im Geburtsprotokoll notiert. Da dies medizinisch aber geboten war, wurde rechtlich angenommen, dass all diese Maßnahmen nicht stattgefunden haben. Das Fehlen aller dieser Maßnahmen stellt ein für jeden Geburtshelfer objektiv so gravierendes Versäumnis dar, dass nur von einem groben Behandlungsfehler auszugehen war. Aufgrund dessen drehte sich die Beweislast zu Lasten der Geburtshelfer um. Das war wichtig, weil die Gegenseite behauptete, jede Zeitverzögerung hätte sonst zu noch schlimmeren Folgen führen können. Da dies nicht zu beweisen war, unterlag die beweisbelastete Behandlerseite.

Bei dem kleinen Fritz dagegen lagen keine so schweren Geburtsverletzungen an den Wurzeln C5-C8 vor. Nach dem dortigen Sachverständigen konnte das Verletzungsmuster auch aufgrund einer fehlerfreien Geburt entstanden sein. Auch hier fehlte jede Dokumentation einer Schulterdystokie oder Maßnahmen hierauf. Weil allerdings zwischen Geburt des Köpfchens und der Schultern nur  30 Sekunden lagen, schloss der Sachverständige, dass keine Schulterdystokie vorgelegen hat. Außerdem wäre bei einem fehlerhaften Zug an der vorderen verhakten linken Schulter auch diese und nicht die rechte Schulter betroffen. Die Ursache der Armplexuslähmung war also ungeklärt. Da die Patientenseite beweispflichtig war, verlor sie das Verfahren (OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2008, Gz. 5 U 1198/07).

Bei Carolin lag ein kompletter Ausriss der Nervenwurzel C8 vor sowie erhebliche Schädigungen an C5-C7, was bereits für ein fehlerhaftes Vorgehen sprach. Hinzu kamen die widersprüchlichen Aussagen des geburtsleitenden Arztes und der Hebamme sowie die unterbliebene Dokumentation, was zu Lasten der Geburtshelfer ging. Das Sachverständigengutachten der 2. Instanz sprach eindeutig von einem Geburtshilfefehler. Hinzu kam, dass bei einer Schulterdystokie die Kristellerhilfe  kontraindiziert ist, aber hier trotzdem durchgeführt worden ist. Auf einen groben Behandlungsfehler kam es nicht an, da der Fehler an sich die schweren Folgen ohne Zweifel hervorgerufen hat.  Im Urteil vom 8. Juli 2010 des OLG München (Gz. 1 U 4550/08) wurde ihr 60.000,00 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Bemerkenswert ist hier, dass das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt noch zu dem entgegengesetzten Ergebnis kam. Es war der Ansicht, dass selbst bei fachgerechter Durchführung der Geburtshilfe die eingetretenen Gesundheitsschäden nicht immer vermeidbar seien. Aufgrund der erheblichen Verletzungen konnte dies im Gutachten der 2. Instanz widerlegt werden.

Insgesamt ist festzustellen, dass der Erfolg eines Gerichtsverfahrens zunächst davon abhängt, wie gravierend der Geburtsschaden ist, damit überhaupt von einem fehlerhaften Vorgehen gesprochen werden kann. Dann wird,  wie oft in Arzthaftungsfällen, die Kausalität schnell vom Sachverständigen verneint, ohne auf die juristisch vorgesehen  Beweislastverteilung zu achten, die sich bei Dokumentationsmängeln und bei schweren Fehlern zu Lasten der Behandlerseite umdrehen kann.  Der sachverständige Arzt ist ein juristischer Laie und bewertet dies daher häufig falsch. Insofern sind die Gutachten insbesondere auf solche Fehler zu prüfen. Schließlich hängt das Verfahren auch wesentlich vom Einsatz und Engagement des Rechtsanwaltes ab, da es sich um schwierige rechtliche Sonderprobleme handelt und die sachliche Auseinandersetzung mit medizinischen Sachverständigengutachten einen hohen Arbeitseinsatz erfordert.

Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von dem Grad der Beeinträchtigung ab, die der Armplexusschaden verursacht. Hier liegt das Spektrum bei leichten Schäden (14.000,00 Euro) bis hin zu schwersten Folgeschäden (65.000,00 Euro). In Fällen, bei denen zusätzlich eine Sauerstoffunterversorgung und damit ein Gehirnschaden eingetreten ist, reichen die Fälle bis hin zu 600.000,00 Euro Schmerzensgeld. Bei diesen Fällen tritt der Armplexusschaden in den Hintergrund, weil die geistigen und sonstigen Behinderungen so gravierend sind.

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