Der Impfschaden oder die Impfkomplikation und seine Rechtsfolgen
Immer wieder kommt es nach einer Impfung zu gesundheitlichen Problemen, die oft harmlos und in manchen Fällen auch schwerwiegend sind. Im Folgenden wird dargestellt, welche potentiellen Ansprüche hieraus entstehen, wann sie entstehen und wie man sie am besten durchsetzt.
Zunächst muss man unterscheiden, ob es sich bei den auf eine Impfung unmittelbar zeitlich folgende Erkrankung um das übliche Ausmaß einer Impfreaktion handelt oder ob es eine Gesundheitsfolge ist, die darüber hinausgeht.
Entscheidend ist die zeitliche Komponente. Eine Erkrankung die innerhalb der ersten vier Tage nach der Impfung auftritt, gilt als üblich, wenn es sich um Temperaturerhöhung und Fieber, Kopf-, Muskel- sowie Gelenkschmerzen, Unwohlsein oder Magen-Darm-Beschwerden handelt. In der Regel klingen diese Symptome rasch wieder ab und hinterlassen keine Dauerschäden. Halten diese Beschwerden länger an und zeigen sich Symptome der Krankheit, gegen die die Impfung vorgesehen war, liegt der Impfschaden nahe. Allerdings kommt es auch vor, dass sich neurologische Probleme nach einer Impfung oder gänzlich andere Erkrankungen auftreten.
Ferner können die Nebenwirkungen der Impfung auch erst Jahre später eintreten (SozG Koblenz, Urteil v. 5.4.18, Gz. 4 VJ 4/15). Hierbei ist allerdings der Nachweis des Zusammenhangs mit der Impfung erschwert.
Wird ein Impfschaden vermutet, ist dringend anzuraten, eine sehr genaue und umfassende ärztliche Diagnostik durchführen zu lassen. Ferner sind zeitnahe Erinnerungsprotokolle für den späteren Beweis sehr hilfreich. Diese werden später als Grundlage für ein Sachverständigengutachten hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Impfung und Impfschaden benötigt.
Teil A
Die möglichen Anspruchsgegner
Die Ansprüche eines Impfschaden können sich gegen mehrere Gegner richten.
I. Versorgungsamt
Gemäß §§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Versorgungsgesetz hat der Geschädigte einen Anspruch auf Entschädigung, wenn ein Impfschaden vorliegt. Ein Verschulden ist nicht Voraussetzung. Wesentliches Problem ist der Nachweis des Zusammenhangs zwischen der Impfung und dem Gesundheitsschaden. Je länger der Gesundheitsschaden zur Impfung her ist, desto geringer sind die Wahrscheinlichkeiten, dass ein solcher als Impfschaden anerkannt wird.
Zunächst ist der Impfschaden bei einer zuständigen Stelle zu melden:
- Paul-Ehrlich-Institut
- Robert Koch-Institut
Dann kann der Antrag auf Impfschadenentschädigung beim Versorgungsamt gestellt werden. Die Versorgungsämter sind auf Landesebene organisiert. Das heißt, jedes Bundesland hat eine eigene Behörde, in der das Versorgungsamt integriert ist (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Versorgungsamt). Dort erhält man nach Aufforderung einen entsprechenden Antrag.
Gemäß § 2 Ziff. 11. InfSchG liegt ein Impfschaden vor wenn,
Grundsätzlich ist eine Impfreaktion auf wenige Wochen zeitlich begrenzt. Ferner fallen hierunter nur die typischen Reaktionen wie Fieber, Schwäche, Schmerzen, Übelkeit, Schwellungen u.a., welche üblicherweise nach wenigen Wochen abklingen. Daher kann erst bei einem längeren Verbleiben von Symptomen und bei untypischen erheblichen Krankheitserscheinungen von einem Impfschaden gesprochen werden.
II. Hersteller des Impfstoffes
Nach § 84 Arzneimittelgesetz (AMG) haftet der Hersteller eines Impfstoffes wenn dieser einen erheblichen Gesundheitsschaden oder den Tod einer Person herbeigeführt hat. Das klingt erst einmal gut, allerdings wird die Haftung in mehreren Punkten eingeschränkt.
1. Die schädliche Wirkung muss über ein vertretbares Maß hinausgehen.
a) Dies bedeutet, dass der Hersteller nicht für übliche Impfreaktionen haftet. Wenn also nach der Impfung sich gerade die Symptome zeigen, die bei der Krankheit auftreten, gegen die geimpft wurde, so handelt es sich um eine typische Reaktion. Dies wird üblicherweise als Indiz dafür gewertet, dass die Impfung wirkt. Allerdings sollte die Impfreaktion nach wenigen Wochen verschwunden sein. Erst wenn die Symptome oder Beeinträchtigungen langfristig andauern, kommt die Haftung des Herstellers in Betracht.
b) Selbst wenn der Schaden vorhanden ist, haftet der Hersteller nicht, wenn die Ursache des Gesundheitsschadens nicht im Bereich der Entwicklung und Herstellung liegt. Denkbar sind Fälle der fehlerhaften Anwendung und der fehlerhaften Dosierung, so dass der Arzt für den Fehler haften sollte.
c) Wenn das geimpfte Medikament geeignet ist, den Schaden herbeizuführen, gilt die Vermutung, dass der Schaden hierdurch hervorgerufen wurde. Diese „Eignung“ müsste allerdings medizinisch nachgewiesen werden. Hierzu wird insbesondere auf den zeitlichen Ablauf abgestellt, auf die Zusammensetzung des Medikaments und die Bestimmungen zum Gebrauch. Sollten andere Ursachen möglicherweise die Beeinträchtigung herbeigeführt haben, gilt die Vermutung nicht mehr. Wenn also bereits die Möglichkeit besteht, dass der Gesundheitsschaden durch eine andere Ursache hervorgerufen worden ist, entfällt die Haftung des Herstellers.
2. Falls die Schädigung durch eine fehlerhafte Kennzeichnung des Medikaments oder eines fehlerhaften Beipackzettels entstanden sind, so haftet der Hersteller wegen dieser Falschbezeichnung. Der Fehler ist darin begründet, dass die Angabe den wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Im Fall einer Impfung ist denkbar, dass Nebenwirkungen nicht erwähnt wurden, obwohl diese nach einschlägigen Studien bekannt sind. Ferner ist denkbar, dass eine Wirkung versprochen wird, die nach entsprechenden Studien eindeutig widerlegt wurden.
3. Als Rechtsfolge müsste der Hersteller ein Schmerzensgeld zahlen sowie alle sonstigen Schäden (Schadensersatz), die in Folge der Erkrankung entstanden sind. Im Falle des Todes würden zusätzlich die Beerdigungskosten, ein eventuell bestandener Unterhaltsanspruch sowie ein Angehörigenschmerzensgeld zu bezahlen sein. Sobald also der Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG feststeht, sind im Vergleich zu anderen Personenschäden keine Besonderheiten zu berücksichtigen.
4. ACHTUNG: Für die Impfung gegen Covid19/ Corona hat die Bundesregierung § 3 Abs. 4 MedBVSV (=Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung) geschaffen, wonach die Pharmaunternehmen faktisch nicht mehr für Impfschäden haften. Die Gefährdungshaftung, die sonst bei Impfschäden greift, gilt hier nur noch für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz, was aber nie zu beweisen wäre.
Statt der Haftung der Pharmakonzerne kommt nun die Haftung des Staates gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht. Die Kanzlei Lattorf vertritt mehrere Geschädigte und wird diesen Weg für alle Betroffenen gehen.
III. Ärzte
Die Ärzte bzw. die Krankenhäuser können ebenfalls haften, falls sie bei der Durchführung der Impfung einen Fehler begangen haben. Dabei sind diverse Konstellationen vorstellbar. Es könnte die falsche Dosis oder ein falsches Präparat verimpft worden sein. Die Desinfektionsvorschriften könnten ignoriert worden sein oder die Nadel könnte örtlich falsch gesetzt worden sein. In solchen Fällen müsste dieser Fehler allerdings einen kausalen Schaden hervorgerufen haben. Die Beweislast trägt in der Regel der Patient. Den Beweis zu führen ist schwierig, kann aber über ein medizinisches Sachverständigengutachten erfolgen.
Ferner haften die Ärzte, wenn die Aufklärung fehlerhaft durchgeführt worden ist. So kann es sein, dass über eine Nebenwirkung nicht aufgeklärt wurde. Wenn dann genau diese Nebenwirkung eintritt, wäre eine Haftung möglich. Allerdings wird der Arzt immer einwenden, dass man sich auch bei Kenntnis der Nebenwirkungen hätte impfen lassen (hypothetische Einwilligung). Dann muss der Patient darlegen, dass er die Impfung nicht gemacht hätte, wenn er von genau dieser Nebenwirkung gewusst hätte. Wenn das nicht glaubwürdig dargestellt werden kann, besteht kein Anspruch. Erfolgversprechender ist es, wenn überhaupt nicht aufgeklärt wurde, sondern vielmehr die Impfung als völlig harmlos und Nebenwirkungsfrei dargestellt wird – was aber eher selten geschieht. Denn üblicherweise hat jeder, der sich impfen lässt ein Aufklärungsformular unterzeichnet, mit dem bewiesen werden kann, dass über alle Risiken und Nebenwirkungen umfassend aufgeklärt worden ist.
Die Ansprüche nach einem Impfschaden sind in der Regel schwer durchzusetzen, weil es nicht einfach ist, zu beweisen dass der Gesundheitsschaden auf die Impfung zurückgeführt werden kann. Weil die Voraussetzung gegenüber dem Hersteller und den Ärzten höher sind, ist es am einfachsten, den Anspruch gegenüber dem Versorgungswerk durchzusetzen. Hier ist der Pflichtverstoß (schuldhafter Fehler) nicht Voraussetzung für die Haftung.
Teil B
Rechtsprechung zum Impfschaden
Vielfach wird behauptet, dass es überhaupt keine Impfschäden mit schweren Folgen gibt oder genau das Gegenteil, dass es zahlreiche Fälle geben würde. Richtig ist, dass der Impfschaden sehr selten juristisch behandelt wird, was sich auch in der anwaltlichen Praxis widerspiegelt. Natürlich kann es sein, dass aufgrund der aktuellen Diskussion um das Impfen sich die Anzahl der rechtlich zu überprüfenden Fälle erhöhen wird.
Dabei ist festzuhalten, dass es in der Rechtsprechung Impfschäden auch mit schweren Folgen bis zum Tod gibt. Allerdings kann aus der geringen Anzahl der zu findenden Urteile davon ausgegangen werden, dass der Impfschaden in der Rechtsprechung allenfalls eine sehr untergeordnete Rolle spielt.
Auf der anderen Seite darf man davon ausgehen, dass Patienten, die tatsächlich durch eine Impfung geschädigt worden sind, wegen der Beweisproblematik eher keine rechtliche Beratung diesbezüglich anfragen und solche Fälle nicht öffentlich werden. Aber selbst wenn die Dunkelziffer 10x höher sein sollte als die Fälle, die bekannt werden, so kann immer noch konstatiert werden, dass selbst dann die absolute Zahl sehr gering sein wird.
Folgende Urteile sind aus der Rechtsprechung bekannt:
BSG, 30.11.2017 – B 9 V 36/17 B
Kein Anspruch auf Impfschadensversorgung wegen nicht nachgewiesener Impfkomplikation
Hessisches LSG, vom 22.09.2016 – L 1 VE 34/14
Bayerisches Landessozialgericht (Gz: L 20 VJ 7/15), Urteil vom 11.07.2018
Ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der beim Kläger durchgeführten Impfung und einer Dissektion der Arteria carotis lässt sich nicht feststellen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.12.2017
– 8 AZR 853/16 –
BAG: Arbeitnehmerin steht wegen Impfschadens nach durchgeführter Grippeimpfung von Betriebsärztin kein Anspruch auf Schmerzensgeld zu.
Sozialgericht Osnabrück, Urteil vom 02.08.2018
– 2 VE 10/17 –
Anspruch auf Elternrente nach Impfschaden des Kindes
Cerebrales Anfallsleiden als Todesursache vermutet – Ist ein Kind infolge eines Impfschadens verstorben, dann ist der Landschaftsverband verpflichtet, einer Mutter eine sogenannte Elternrente zu gewähren.
Sozialgericht Koblenz, Urteil vom 05.04.2018
– 4 VJ 4/15 –
Narkolepsie ist als Impfschaden nach Schweinegrippeimpfung anzuerkennen.
Zahlreiche Fälle dokumentieren europaweit Zusammenhang zwischen Impfung und Narkolepsie.
Wer im Anschluss an eine Impfung gegen Schweinegrippe im Jahr 2009 an Narkolepsie, auch Schlafkrankheit genannt, erkrankt ist, kann Anspruch auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz haben.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 21.06.2017
– C-621/15 –
EuGH zu den Voraussetzungen beim Beweisen eines Impfschadens
Produkthaftung bei Impfstoffen: Indizienbündel kann zum Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Fehler eines Impfstoffs und Krankheit ausreichend sein.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2017
– XII ZB 157/16 –
Streit um Schutzimpfung: Entscheidung kann bei gemeinsam sorgeberechtigten nichtehelichen Eltern zum Wohl des Kindes auf einen Elternteil übertragen werden.
Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 15.12.2015
– L 15 VJ 4/12 –
Dravet-Syndrom nach 6-fach-Impfung im Säuglingsalter ist als Impfschaden anzuerkennen.
Impfung stellt nicht nur Gelegenheitsursache für Dravet-Syndrom dar.
Das Bayerische Landessozialgericht hat entschieden, dass das Dravet-Syndrom nach einer 6-fach-Impfung im Säuglingsalter als Impfschaden anzuerkennen ist.
Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 13.11.2013
– S 7 VJ 601/09 –
Das Guillain-Barre-Syndrom ist als Impfschaden nach Hepatitis B-Impfung anzuerkennen. Das LWL Versorgungsamt Westfalen wird verurteilt die Beschädigtenversorgung zu gewähren.
Die gesundheitlichen Folgen eines nach einer Hepatitis B – Impfung auftretenden Gullian-Barre-Syndroms wurden als Impfschaden anerkannt und sind zu entschädigen.
Urteil des SG Koblenz 4. Kammer, Gz. S 4 VJ 2/16 vom 05.04.2018
Es konnte kein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Auffrischungsimpfung und der Epilepsie nebst Entwicklungsstörung festgestellt werden.
LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.04.2012
– L 2 VI 35/09 ZVW –
Impfschaden bei schwerbehinderten Kind nicht hinreichend wahrscheinlich
Die Klage wurde abgewiesen. Für einen Anspruch auf Erhalt von Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz muss der Betroffene zweifelsfrei nachweisen können, dass eine Impfung die Ursache für eine gesundheitliche Schädigung war.
Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urt. v. 06.04.2017, Az.: L 6 VJ 1281/15
Für die Impfopferversorgung müssen die schädigende Einwirkung (Schutzimpfung), der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, und eine dauerhafte gesundheitliche Schädigung (Impfschaden) nachgewiesen, nicht nur wahrscheinlich sein.
2. Die Schutzimpfung muss nach der im Sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltenden Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung wesentliche Ursache für den Eintritt der gesundheitlichen Schädigung und diese wesentliche Ursache für die Schädigungsfolge, den Impfschaden, sein; als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.