Geburtsschadensrecht – Hilfe durch Information

Der Artikel befasst sich mit der Situation von Eltern, deren Kind durch einen Arzt- oder Hebammenfehler bei der Geburt geschädigt worden ist und erhebliche Gesundheitsschäden entstanden sind. Er bietet grundlegende Antworten auf die Frage, welche rechtlichen Ansprüche man gegenüber den Behandlern und Geburtshelfern hat, wie man sein Informationsrecht durchsetzt und am Ende auch ein angemessenes Schmerzensgeld sowie Schadensersatz erhält. Der Leser erhält einen Überblick über die Anspruchsarten, die einem Geburtsfehler folgen und welche Chancen und Risiken ein Verfahren hat.

„Wir wollten eigentlich kein Geld, wir wollten nur wissen, ob bei der Geburt etwas schief gelaufen ist oder ob wir selbst etwas versäumt hatten. Wir wollten wissen, wer Schuld hatte. Dass wir solche Ansprüche hatten, hätten wir nicht gedacht.“ Marcel F.

„Als die Ärzte uns keine Auskunft geben wollten, war für uns klar, dass etwas bei der Geburt schiefgelaufen sein musste. Unser Zorn auf die Ärzte war groß. Wir mussten etwas unternehmen. Allein für die Gesundheit und das Wohl unseres Kindes.“ Annegret H.

„Der Gedanke an ein behindertes Kind kam erst nach und nach. Das Begreifen, dass das Kind besondere Schwierigkeiten beim Laufen, beim Sprechen und dann auch in der Schule beim Lernen haben würde, war eine emotionale Katastrophe.

Im Laufe der Zeit kam es immer wieder zu kleinen, mittelschweren und riesengroßen Belastungen in der Familie. Streit untereinander, das Gefühl völlig überfordert zu sein und dann das schlechte Gewissen führten zu einer familiären Abwärtsspirale. Wir konnten keinen Urlaub mehr machen, nicht nur wegen der Behinderung unseres Kindes. Unsere Geldmittel waren angespannt, da die Krankenkasse nicht alle Hilfsmittel übernommen hatte und auch sonst die Kosten für ein behindertes Kind größer sind. Die Streitereien wurden heftiger. Es kam zu Schuldzuweisungen. Unsere Ehe ging langsam aber sicher zu Bruch. Eine Frage stellten wir uns immer öfter: Woher kam die Behinderung. War es Schicksal oder ging bei der Geburt irgendetwas schief, ohne dass wir davon erfahren hatten.

Wir gingen mit unseren Fragen zu dem Krankenhaus wo wir entbunden hatten und baten um ein Gespräch. Wir waren völlig irritiert, dass niemand mit uns sprechen wollte. Das führte zu weiteren Fragen und Befürchtungen. Aber jeder Arzt, jede Schwester und jeder, der uns etwas über den Geburtsverlauf hätte sagen konnte, verweigerte ein Gespräch. Wir stießen auf eine Mauer des Schweigens. Das vergrößerte bei uns die Ansicht, dass bei der Geburt etwas schief gegangen sein musste.“ Eheleute S.

Die Schilderungen der Betroffenen zeigen, dass das Leben mit einem behinderten Kind ein ständiger Ausnahmezustand ist und die Betroffenen vor enorme Herausforderungen stellt und zwar Tag für Tag und Stunde um Stunde. Am Anfang steht immer die Frage nach dem „Warum?“. Warum ist mein Kind behindert? Diese Frage wird durch Vorlage der Patientenakte beantwortet und im Zweifel durch einen medizinischen Sachverständigen. Erst wenn ein Fehler der Geburtshelfer festgestellt worden ist, folgen die Fragen nach den Konsequenzen.

1. Informationsbeschaffung

Am Anfang der Überprüfung eines Geburtsfehlers geht es um die Beschaffung von Informationen. Nicht nur die Eltern haben ein extrem hohes Bedürfnis zu erfahren, was bei der Geburt Ungewöhnliches geschehen sein könnte und welche Fehler möglicherweise gemacht worden sind. Auch die rechtliche Auseinandersetzung beginnt mit dem Anfordern der Unterlagen. Jeder Patient hat gemäß § 630g BGB das Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte und kann auch eine Abschrift verlangen. Verstirbt der Patient, so steht dem Erben das Einsichtsrecht zu. Üblicherweise wird von den Behandlern eine Kopie der Patientenakte zur Verfügung gestellt. Die Kopierkosten trägt der Patient. Leider verweigern trotz des eindeutigen Wortlautes des § 630g BGB viele Behandler die Herausgabe der Dokumente direkt an den Patienten, ohne dies zu begründen. Dann ist er gezwungen, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Erfahrungsgemäß werden die Patientenunterlagen diesem nach dem ersten Anfordern zugesandt. Bei umfangreichen Unterlagen wird gelegentlich verlangt, dass man erst die Kopierkosten ausgleichen soll. Dem sollte man dann nachkommen. Die Unterlagen sind auf Vollständigkeit zu überprüfen. Wesentliche Unterlagen sind das Geburtsprotokoll mit Angaben zum pH-Wert des Nabelschnurblutes und des Apgar-Wertes, CTG-Aufzeichnungen, Berichte zu den Kontrolluntersuchungen, Aufnahme- und Entlassungsbericht des Krankenhauses, der Mutterpass sowie die kinderärztlichen Unterlagen. Bei einer längeren Krankenhausbehandlung entstehen darüber hinaus zahlreiche Dokumente, die dort als Patientenakte ebenfalls angefordert werden müssen.

Nur in ganz seltenen Fällen, verweigern die Behandler die Patientenakte. Dann muss die Klage auf Herausgabe erhoben werden, die immer zu Gunsten des Patienten enden sollte.

Zudem sollten die Eltern möglichst zeitnah ein Erinnerungsprotokoll erstellt haben. Je genauer dies ausfällt und je zeitnaher es ist, desto eher hat dieses Protokoll Beweiskraft ähnlich wie die Patientenakte der Ärzte.

2. Bewertung der Patientenakten – Behandlungsfehler erkennen

Wenn die Patientenunterlagen vorliegen, sind diese eingehend durchzuarbeiten. In der Regel fallen dem geübten Auge dann die ersten Unregelmäßigkeiten auf, denen man nachgehen muss. Wichtig ist auch, die Angaben der Eltern zum Geburtsverlauf mit denen aus der Dokumentation zu vergleichen. Hierdurch fallen oft die Besonderheiten der Geburt ins Auge.

a) Von elementarer Wichtigkeit ist die solide Kenntnis zum fehlerfreien Vorgehen während der Geburt und in den Zeiten vorher und nachher. Hierzu können die Mutterschafts-Richtlinien herangezogen werden, deren wesentlicher Satz lautet:

 „Durch die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung sollen mögliche Gefahren für Leben und Gesundheit von Mutter oder Kind abgewendet sowie Gesundheitsstörungen rechtzeitig erkannt und der Behandlung zugeführt werden. Die ärztliche Beratung der Versicherten umfasst bei Bedarf auch Hinweise auf regionale Unterstützungsangebote für Eltern und Kind (z.B. „Frühe Hilfen“). Vorrangiges Ziel der ärztlichen Schwangerenvorsorge ist die frühzeitige Erkennung von Risikoschwangerschaften und Risikogeburten.“ 

Diese Richtlinien sind für jedermann unter www.g-ba.de/informationen/richtlinien/ abrufbar. Sie sind verbindlich und legen den medizinischen Standard fest. Eine Unterschreitung dieser Richtlinien indiziert einen Behandlungsfehler. Das heißt, der Arzt benötigt eine besondere medizinische Rechtfertigung, wenn er hiervon abweicht, damit kein Arztfehler vorliegt.

b) Darüber hinaus ist es für den Rechtsanwalt als medizinischer Laien notwendig, die einzelnen Schritte zur Durchführung einer Geburt wenigstens theoretisch zu kennen. Hierzu gehören der vorgeburtliche Bereich, der Geburtsvorgang selbst und die nachgeburtliche Versorgung des Kindes.

(1) Viele Fehler geschehen schon im vorgeburtlichen Bereich und werden von jemand, der sich nur wenig mit der Materie auskennt, kaum erkannt, weil die ärztlichen Pflichten zu dieser vorgeburtlichen Zeit leicht unterschätzt werden. Zum Beispiel muss der Gynäkologe bei erkennbaren Entwicklungsstörungen des ungeborenen Kindes ab der 33. SSW einen Spezialisten hinzuziehen oder die Schwangere in ein Perinatalzentrum einweisen. Hier ist es zwingend erforderlich, dass zusätzliche Untersuchungen wie Ultraschallmessungen, CTG und Messungen des Schädel- und Thoraxdurchmessers durchgeführt werden (= OLG München, Urt. V. 25.01.2001 – 24 U 170/98 = OLGR 2001, 109). Wird dies unterlassen, führt dies in der Regel zur Haftung des Gynäkologen.

Die Schätzung des Geburtsgewichts ist vorgeburtlich immer vorzunehmen. Unterlässt der Gynäkologe dies, liegt ein Befunderhebungsfehler vor, was in einem Fall aus dem Raum Aachen in zweiter Instanz zu dessen Haftung geführt hat (Urteil des OLG Köln v. 06.03.2002).

In einem Urteil des OLG Hamm vom 30.01.2008 heißt es, wenn bei einer hochschwangeren Frau ein Fruchtwasserverlust auftritt und wiederkehrende Schmerzen im Sinne von möglichen Wehen auftreten, sind weitere Untersuchungen des Muttermundes vorzunehmen. Außerdem hat dann eine tägliche Kontrolle der Entzündungszeichen durch eine CRP-Messung zu erfolgen. Da der Geburtshelfer dies in dem Fall versäumt hatte, wurde der Arzt zur Zahlung einer hohen Geldsumme verurteilt.

(2) Fehler, die unter der Geburt stattfinden, können häufig aus der CTG-Aufzeichnung oder dessen unzureichender Aufzeichnung erkannt werden. Oft lässt sich daraus ableiten, dass die erfolgte Entbindung zu spät eingeleitet wurde. Ist das CTG bereits pathologisch und findet die Entbindung nicht innerhalb der nächsten 20 Minuten statt, indiziert dies ebenfalls ein fehlerhaftes Vorgehen der tätigen Geburtshelfer. Ein niedriger pH-Wert des Nabelschnurblutes kann auf eine fetale Azidose hinweisen, also auf eine gravierende Sauerstoffunterversorgung des Fötus. In manchen Fällen kann es vorkommen, dass kein pathologischer pH-Wert gemessen wurde, aber deutliche Anzeichen einer Sauerstoffunterversorgung vorliegen. Dann wäre zusätzlich der pO2-Wert zu berücksichtigen, um auszuschließen, dass bei der pH-Wert-Messung es zu einer Verunreinigung des untersuchten Blutes mit Sauerstoff gekommen ist.

Das CTG gehört zwingend zum geburtshilflichen Standard. Der Abbruch einer CTG-Kontrolle trotz suspektem Verlauf ist grob fehlerhaft (OLG Schleswig, VersR 1994, 1068). Allerdings reicht es nicht aus, dass eine CTG-Aufzeichnung stattfindet. Die Hebamme muss auch in der Lage sein, ein pathologisches CTG zu erkennen. In einem solchen Fall muss sie die ärztliche Entscheidung herbeiführen, wie weiter zu verfahren ist. Dabei ist der Arzt sofort hinzuzuziehen (OLG Oldenburg VersR 1997, 1236). Eine Mikroblutuntersuchung ist nach einem pathologischen CTG zweifelsfrei durchzuführen. Ist das Krankenhaus nicht gut aufgestellt und ist in der Entbindungsstation kein Arzt anwesend, der über das weitere ärztliche Vorgehen eine Entscheidung treffen muss, liegt ein grober Behandlungsfehler vor (OLG Hamm, VersR 1980, 648). Es muss also jederzeit organisatorisch sichergestellt sein, dass die erforderliche Entscheidung zur Notsectio rechtzeitig getroffen werden kann.

Ein weiteres Risiko entsteht bei einem vorzeitigen Blasensprung, die ein besonderes Handeln der Geburtshelfer erfordern. „Gegen die Infektionsgefahr bei einem vorzeitigen Blasensprung muss die Geburt kurz gehalten werden und unter ständiger ärztlicher Kontrolle ablaufen“ (OLG Hamburg).

Wird die nach einem vorzeitigen Blasensprung in der 36. SSW gebotene Kaiserschnittentbindung hinausgezögert, so liegt ein grober Behandlungsfehler vor. Der BGH hat die Pflichten des Geburtshelfers bei vorzeitigem Blasensprung auf den Punkt gebracht: „Es muss ein Sicherheitsprogramm ablaufen, um bei Erreichen der 24-Stunden-Grenze ein Amnioninfektionssyndrom sicher auszuschließen (BGH in AHRS 1220/112).

Hat ein Blasensprung stattgefunden, muss schon bei der Eingangsuntersuchung die Lage des Kindes sicher abgeklärt werden. Ferner muss der Höhenstand des Feten zuverlässig festgestellt werden. Dies sind grundlegende Befunde, die erhoben werden müssen. Geschieht dies nicht, liegt ein Behandlungsfehler vor. (OLG Stuttgart, Urt. v. 13.04.1999).

(3) Nachgeburtliche Behandlung

Für jedes Kind muss auch nach der Geburt eine sachgerechte und fehlerfreie Behandlung erfolgen. Bei Frühgeburten, Zwillingsgeburten oder ersichtlich unterversorgten Kindern sind besondere Maßnahmen notwendig, deren Nichtbeachtung zu erheblichen gesundheitlichen Folgen beim Kind führen kann.

a) Jedes Krankenhaus mit Wöchnerinnenstation muss die Grundvoraussetzungen zur Überwachung der neugeborenen Kinder bieten. In solchen Krankenhäusern ist daher die Anwesenheit einer Kinderkrankenschwester erforderlich, die vorhandene Geräte bedienen können muss, auch wenn deren Einsatz selten erforderlich ist. Jedenfalls ist es nie ausreichend, wenn nur eine Krankenschwester die gesamte Station einschließlich des Kinderzimmers überwacht. Die für das Säuglingszimmer zuständige Schwester muss also wissen, wie ein Oxymeter zu bedienen ist und welche Grenzen einzuhalten sind. Versäumt sie eine regelmäßige Dokumentation, ist davon auszugehen, dass die notwendigen Überwachungsmaßnahmen nicht stattgefunden haben.

b) Frühgeburt

Da sich Frühgeburten oft ankündigen, bleibt in der Regel Zeit für eine Verlegung in ein perinatales Versorgungszentrum. Eine absolute Verlegungsindikation in ein Perinatalzentrum besteht bei einem Gestationsalter von weniger als die 32. Schwangerschaftswoche (SSW) bzw. bei einer Zwillingsgeburt unter der 33. SSW oder einem Geburtsgewicht von weniger als 1.500 g unabhängig von der Schwangerschaftswoche.

Die Indikationen zur Verlegung von Früh- und Reifgeborenen in Krankenhäuser der adäquaten Versorgungsstufe sind in der AWMF-Leitlinie Nr. 024/002 (Stand 04/2013) ausführlich beschrieben und von jedermann abrufbar.

c) Zwillinge

Wenn es bei einem Zwilling zu einer intrauterinen Hypotrophie (Wachstumsverzögerung) gekommen ist (OLG Koblenz, Urteil vom 05.07.2004, Gz. 12 U 572/97) sind regelmäßige Blutzuckerkontrollen des Neugeborenen zwingend erforderlich, um eine Hypoglykämie rechtzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Neugeborene dieser Gefährdungsstufe sind daher grundsätzlich umgehend nach der Geburt zur weiteren und fachgerechten neonatalogischen Betreuung in eine pädiatrische Abteilung zu verlegen. Hält eine Entbindungsstation die notwendige Weiterversorgung nicht bereit und wird auch die in die Kinderklinik gebotene Verlegung nicht veranlasst, liegt ein schweres Organisationsversäumnis vor.

3. Feststellung des Arztfehlers

Eine Besonderheit im Geburtsschadensrecht ist, dass es viele typische Fälle und ähnliche Fehler gibt, die in der Rechtsprechung bereits eindeutig entschieden worden sind, so dass eine Bewertung durch den Fachanwalt und Spezialisten gut vorgenommen werden kann. Allerdings hat auch jeder Fall seine Besonderheiten und Abweichungen vom Typischen, so dass eine endgültige Vorhersage der Erfolgsaussichten nicht möglich ist. Eine Bewertung durch einen Sachverständigen kann die letzten Zweifel ausräumen oder eine erweiterte Entscheidungshilfe für ein weiteres Vorgehen sein. Ein Gutachten kann je nach Fallgestaltung sehr empfehlenswert aber auch überflüssig sein. Dies sollte eingehend besprochen werden. Denn die vorgerichtliche Gutachtenerstellung kann sehr problematisch sein und auch zu Nachteilen führen. Für den Fall, dass ein Arztfehler nicht schon aus den Unterlagen deutlich hervorgeht, gibt es mehrere Verfahren einen solchen feststellen zu lassen.

a) Das private Sachverständigengutachten

Der große Nachteil bei einem Privatgutachten ist, dass dieses viel Geld kostet. Üblich sind Kosten zwischen 1.500,00 Euro und 4.000,00 Euro. Bei besonderer Fallgestaltung auch noch darüber hinaus. Der Vorteil ist, dass der Sachverständige eher neutral bis gewogen ist und sich nicht scheut, die möglichen Fehler klar anzusprechen und eine Bewertung des Verschuldens beim Geburtshelfer vorzunehmen. Ferner hat man die Möglichkeit, auf die zeitliche Erstellung des Gutachtens einzuwirken, so dass innerhalb kurzer Zeit ein Gutachten vorliegen kann. Der große Nachteil ist, dass das Gutachten später vor Gericht alleine nicht gewertet wird. Die Gegenseite wird immer darauf hinweisen, dass es sich um ein Parteigutachten handelt und nicht mehr ist als Parteivortrag – also so, als ob die Eltern es selbst verfasst hätten. Es handelt sich zwar um qualifizierten Parteivortrag, aber vor Gericht ist es alleine nicht durchschlagend. Dies bedeutet, dass daneben ein weiteres Gerichtsgutachten erstellt wird. Bei unterschiedlichem Ergebnis zum Parteigutachten ist der gerichtliche Sachverständige verpflichtet darzustellen, warum das Privatgutachten falsch ist.

b) Gutachten über die gesetzliche Krankenkasse

Die gesetzlichen Krankenkassen bieten bei Verdacht auf einen Arztfehler an, ein Gutachten über den „Medizinischen Dienst der Krankenkasse“ (MdK) erstellen zu lassen. Der Vorteil ist, dass diese Gutachten kostenlos sind. Der Nachteil ist, dass diese in der Regel nicht so ausführlich sind und nicht immer auf vollständige Unterlagen beruhen. Daher halten sie einem Gerichtsgutachten nicht immer Stand. Allerdings bieten sie eine erste Einschätzung, auf die man bauen kann. Ist das Gutachten negativ, muss die Gegenseite keine Kenntnis davon erlangen.

Manche privaten Krankenkassen bieten mittlerweile ebenfalls die kostenfreie Erstellung von medizinischen Fachgutachten an. Hier kann sich eine Anfrage lohnen.

c) Gutachten über die Ärztekammer

Die Ärztekammern bieten über ihre Schlichtungsstellen ebenfalls an, ein kostenloses Gutachten zu erstellen, wenn die Behandlerseite zustimmt und kein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Diese Gutachten sind in der Regel fundierter als beim MdK. Zudem hemmen sie die Verjährung. Allerdings fallen diese auf dem Gebiet des Geburtsschadensrechts eher negativ für den Patienten aus. Beachtlich ist, dass die Ärztekammer u.a. die Aufgabe hat, ihre Mitglieder zu schützen. Da es in vielen Fällen der Geburtsschäden um Summen in Millionenhöhe geht, neigen die dortigen Sachverständigen eher dazu ihre Kollegen in ein positives Licht zu rücken und den Arztfehler nicht als solchen zu bezeichnen oder einen groben Behandlungsfehler als einfachen Fehler darzustellen. Diese Gutachten sind also mit Vorsicht zu genießen und entsprechend kritisch zu würdigen. Ein großer Nachteil ist es, wenn diese Gutachten negativ für die Eltern ausfallen, es aber Bedenken an der Richtigkeit des Gutachtens gibt. Das bedeutet einen viel größeren Begründungsaufwand für den Rechtsanwalt mit meist erhöhten Anwaltsgebühren. Bei vermögenslosen Mandanten, die dann klagen wollen, besteht das Risiko dass das Gericht die Prozesskostenhilfe ablehnt, weil ein negatives Gutachten dazu führen kann, dass die Erfolgsaussichten eines Prozesses als zu gering eingeschätzt werden. Zudem benötigt die Gutachterstelle im Durchschnitt über ein Jahr für die Erstellung des Gutachtens. Dann kann es geschehen, dass man nach einer langen Wartezeit ein negatives Gutachten mit einem eventuell falschen Ergebnis hat, das zu höheren Kosten führt und sogar zur Unmöglichkeit einen Prozess durchzuführen.

Wenn allerdings das Gutachten positiv ausfällt, kann dies auch positive Konsequenzen für den weiteren Prozess haben. Oft bieten dann die Versicherungen eine Abfindungszahlung im Vergleichswege an. Wenn es sich, wie bei Geburtsschäden oft der Fall ist, um sehr hohe Schmerzensgeld- und Schadensersatzbeträge handelt, sind die Vergleichsangebote der Versicherungen aber meist nicht mal im Bereich von 10% der geltend gemachten Ansprüche. Dann ist ebenfalls die Klage anzuraten, wobei der gerichtliche Sachverständige sich mit dem positiven Gutachten auseinandersetzen muss und es nur in wenigen Fällen zu einer abweichenden negativen Einschätzung kommen sollte. Prozesskostenhilfe würde bei einem positiven Gutachten für Bedürftige immer gewährt werden.

d) Gutachten über die Staatsanwaltschaft

Wenn eine Strafanzeige gegen den Geburtshelfer gestellt wird, muss die Staatsanwaltschaft grundsätzlich ein medizinisches Fachgutachten erstellen. Der Vorteil ist, dass es kostenlos ist und in der Regel sehr fundiert. Der große Nachteil ist, dass es im Strafrecht viel strenge Anforderungen bezüglich der Beweislage für die Tatsachen und die Kausalität gibt, so dass die Gutachten im Vergleich zum Zivilprozess eher negativ ausfallen. Liegt ein solches negatives Gutachten vor, ist es schwer im Zivilprozess damit zu einem positiven Ergebnis zu gelangen.

e) Gutachten im Zivilverfahren

Der schnellste und kostengünstigste Weg ist, ohne ein vorgerichtliches Gutachten die Klage zu erheben. Dies erfordert einen hoch kompetenten Anwalt, der sich in der medizinischen Fachmaterie auskennt oder bereit ist, sich einzuarbeiten. Denn der Behandlungsfehler sollte identifiziert und mindestens umrissen werden. Noch besser wäre es, wenn die Rechtsprechung auf diesem Gebiet bekannt ist und auf vergleichbare Fälle schon in der Klageschrift hingewiesen wird. Die Erstellung eines Gutachtens über den MdK kann immer zusätzlich erwogen werden, je nachdem wie klar bzw. zweifelhaft der Arztfehler ist. Ohne ein vorgerichtliches Gutachten aber mit fundierter Darstellung der vermuteten Arztfehler wird im Rahmen des Gerichtsverfahrens ein Fachgutachten erstellt, dessen Kosten der Kläger vorstrecken muss. Aber im Gegensatz zu einem vorgerichtlichen Privatgutachten werden diese Kosten bei Vorhandensein einer Rechtsschutzversicherung, von dieser bezahlt. Wurde PKH gewährt, muss der Kläger die Kosten des Sachverständigen auch nicht tragen. Wenn dann das Gutachten negativ ausfällt, besteht immer noch die Möglichkeit ein Privatgutachten auf eigene Kosten erstellen zu lassen und dem Gerichtsgutachten entgegenzustellen. Führt das dann dazu, dass das Gericht dem positiven Privatgutachten folgt, hat die Gegenseite auch die Kosten des Privatgutachtens zu übernehmen. Das gilt grundsätzlich nicht für die vorgerichtlich erstellten Privatgutachten.

Das Privatgutachten kann auch nach negativem Urteil erst für die Berufung erstellt werden, so dass diese einfacher begründet werden kann. Im besten Fall tauchen neue Tatsachen auf oder werden in ein neues Licht gerückt, so dass die Erfolgsaussichten sich wesentlich erhöhen.

4. Die rechtlichen Möglichkeiten

a) Warum sich kein Arzt entschuldigen wird.

Kann nach Überprüfung der Patientenakte auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden, fragt sich, welche Konsequenzen dies hat und welche Ansprüche gegeben sind. Oftmals wünschen sich die Eltern eine Entschuldigung von den Personen, die den Fehler zu verantworten haben. Eine Entschuldigung allerdings wird eigentlich nie ausgesprochen, weil dies ein Schuldanerkenntnis bedeuten würde. Die Ärzte fürchten sich davor, dass bei einem Schuldanerkenntnis die Haftpflichtversicherung nicht zahlt und sie dann selbst für den Schaden aufkommen müssten. Zudem könnte dies nicht nur zu interner Rufschädigung führen, sondern möglicherweise auch zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung. Im extremsten Fall könnte er damit eine Straftat einräumen und eine Strafverfolgung gegen sich auslösen. Eine Entschuldigung könnte also die berufliche Existenz des Arztes in mehrfacher Hinsicht gefährden. Insofern ist in aller Regel eine Entschuldigung nicht zu erwarten. Allenfalls dann, wenn ein Gerichtsprozess zu Ende geführt wurde und das richtige moralische Handeln nicht mehr zu juristischen Folgen führen könnte, kommt es schon mal zu einer Entschuldigung oder zu ähnlichen Bekundungen. Rechtlich besteht leider kein Anspruch auf eine Entschuldigung.

b) Das Strafverfahren zielt auf Bestrafung

Eine Möglichkeit wäre, ein Strafverfahren einzuleiten. In der Regel wird bei einem schuldhaft herbeigeführten Geburtsfehler der Straftatbestand einer fahrlässigen Körperverletzung § 229 StGB erfüllt sein. Die fahrlässige Körperverletzung verjährt gem. § 78 III Nr. 4 StGB in fünf Jahren. Dies bedeutet in vielen Fällen, dass bei später Kenntnis des Vergehens die Strafverfolgung nicht mehr möglich ist. Verstirbt das Kind nach der Geburt durch den Arztfehler kann eine fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB vorliegen. Hier beträgt die Verjährungsfrist 20 Jahre. Ein Strafverfahren gegen einen Arzt oder Hebamme wegen eines Geburtsfehlers ist sorgfältig abzuwägen. In den meisten Fällen kommt es auch nicht zu einer Verurteilung, weil der Maßstab für den Beweis und den Kausalverlauf hierfür sehr streng ist und im Zweifel immer für den Beschuldigten entschieden wird. Außerdem liegt es nahe, dass der Arzt seinen Beruf ausübt, um zu helfen und zu heilen. Ein böswilliger Vorsatz wird ihm nie vorgeworfen. Das Strafverfahren ist auch nicht darauf ausgerichtet, Schmerzensgeld oder Schadensersatz zu erhalten, sondern einen Straftäter zu bestrafen. Im Falle der Verurteilung eines Arztes kommt es regelmäßig nur zur Zahlung einer Geldbuße an eine gemeinnützige Einrichtung oder allenfalls zu Bewährungsstrafen und nur ganz selten zu Haftstrafen. Allerdings kann eine Bestrafung des Arztes dem Betroffenen emotional weiterhelfen. Oft verhalten sich Ärzte arrogant und überheblich, so dass es eine besondere Genugtuung ist, wenn die strafrechtliche Verurteilung des Arztes erreicht worden ist.

c) Beim Zivilverfahren geht es um Geld

Liegt ein beweisbarer Behandlungsfehler vor, so sollte ein zivilrechtliches Verfahren eingeleitet werden. Dieses beginnt mit der Forderung einer Geldsumme und der Anerkennung aller zukünftigen Folgeschäden, die kausal auf den Arztfehler beruhen. In dem ersten Forderungsschreiben sollten bereits alle Forderungen benannt und beziffert werden. Der Arztfehler ist schon jetzt klar darzustellen und die Folgen in aller Dramatik zu schildern. Ferner ist eine zukünftige Entwicklung bis zum Lebensende des Kindes soweit möglich darzustellen, wodurch sich auf die Zukunftsschäden beziffern lassen. Die Ermittlung der einzelnen Schadenspositionen ist hoch anspruchsvoll und erfordert ein hohes Spezialwissen auf diesem Gebiet und einen hohen persönlichen Einsatz durch den Anwalt. Wenn der Rechtsanwalt dies nicht berücksichtigt oder der gegnerischen Versicherung sogar die Ermittlung der Höhe der Ansprüche überlässt ohne eine eigene Berechnung anzustellen, sollten mindestens Zweifel an der richtigen Wahl des Rechtsvertreters aufkommen.

Das Verfahren ist im Wesentlichen darauf ausgerichtet, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen finanziell zu kompensieren und die materiellen Schäden und den Mehrbedarf, die auf Lebzeiten entstehen können, auszugleichen. Das erzielte Geld erhält der Betroffene bzw. dessen Eltern zur kindgerechten Verwendung.

Auf der Gegenseite verhandelt grundsätzlich kein Arzt und keine Hebamme, sondern die für solche Fehler abgeschlossene Haftpflichtversicherung. Entweder lehnt die Versicherung jede Zahlung ab, weil sie keinerlei Pflichtverletzung erkennt oder sie bietet die Zahlung einer Vergleichssumme an, die das Verfahren sofort beenden würde. Im Bereich des hier besprochenen Geburtsschadensrechts liegen diese Angebote generell in einem Bereich, bei dem man nur von der Annahme des Vergleichs abraten kann. Nur selten, meist bei einer sehr geringen Lebenserwartung des Kindes oder wenn das Kind bereits verstorben ist, werden solche Vergleiche abgeschlossen. Nie kommt es vor, dass die Haftpflichtversicherung ihre Einstandspflicht anerkennt und die verlangte Summe ohne Verhandlung bezahlt.

Lehnt die Versicherung die Zahlung eines angemessenen Betrags ab, ist zum Übergang in das Klageverfahren zu raten. Das bedeutet, dass nun das Gericht bemüht wird, um eine Entscheidung über die Zahlungspflicht herbeizuführen. Solche Verfahren sind darauf ausgerichtet, einen bestimmten Geldbetrag zu bezahlen und festzustellen, dass alle zukünftigen Schäden die auf den Arztfehler beruhen, erstattet werden. Mit dem Feststellungsantrag werden alle zukünftigen Ansprüche gesichert, auch wenn sie noch nicht bekannt oder vorstellbar sind. Das erstinstanzliche Gerichtsverfahren dauert in der Regel zwischen zwei und drei Jahre. Schließt sich eine Berufung an, dauert es im Durchschnitt nochmal ein weiteres Jahr. Es gibt leider immer wieder Verfahren, die sich aufgrund besonderer Umstände noch weiter in die Länge ziehen. Die Erstellung eines Gerichtsgutachtens dauert zwischen 6 und 8 Monate. Wenn zwei oder drei Gutachter tätig werden müssen, addiert sich diese Zeit, weil die Gerichtsakte nur einmal vorhanden ist und die Gutachten nacheinander erstellt werden. Ein Befangenheitsantrag verzögert einen Rechtsstreit sehr (ca. 3-6 Monate), ist aber manchmal notwendig, wenn auch die Voraussetzungen sehr streng sind.

Nach der Erstellung des Gerichtsgutachtens kommt es zur schriftlichen Auseinandersetzung mit diesem und meistens zur Erstellung eines Ergänzungsgutachtens, das nochmals 3 bis 8 Monate dauert. Dann folgt nach weiteren Monaten eine mündliche Verhandlung. Wenn noch medizinische Fachfragen offen geblieben sind, wird der Sachverständige dazu geladen und mündlich ausführlich befragt. Sind die Sachfragen geklärt, kommt es zum Spruch des Gerichts. Das Urteil wird den Parteien zugestellt. Hiernach hat die unterlegene Partei einen Monat Zeit, die Berufung einzulegen, was oft geschieht, wenn der Sachverständige schlecht gearbeitet hat und Sachfragen offen geblieben, zweideutig oder widersprüchlich beantwortet worden sind. Kann das Gutachten substantiell angegriffen werden, kommt es in der Berufungsinstanz grundsätzlich zu einer neuen Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen. Wenn das Gericht der Ansicht ist, dass das Gutachten keine schwerwiegenden Fehler hat und noch durch eine Ergänzung des Sachverständigen geheilt werden kann, wird derselbe Sachverständige beauftragt. Das sollte aber möglichst durch entsprechendem Vortrag in der Berufung verhindert werden, da der gleiche Sachverständige nur selten seine vorher festgelegte Meinung ändern wird.

Bei Rechtsfehlern im Berufungsurteil steht der unterlegenden Partei die Revision beim BGH offen. Dort werden nur Rechtsfragen erörtert. Ein weiterer Sachvortrag oder Streit über Tatsachen findet nicht statt. Die Revision ist meistens innerhalb eines Jahres erledigt.

Hat man also ein außergerichtliches Gutachten erstellen lassen, mit der Gegenseite vergeblich verhandelt, um dann die Klage zu erheben, können vom Verdacht auf einen Geburtsfehler bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung nach drei Instanzen etwa 6 Jahre vergehen. Dies bedeutet, dass der Geschädigte nicht nur einen langen Atem, sondern auch viel Kraft, Nerven und Geld investieren muss und bemüht sein sollte, die richtigen Schritte zeitnah durchzuführen, um das sowieso lange Verfahren nicht noch unnötig in die Länge zu ziehen. Dies führt auch dazu, dass nach mehreren Jahren die Bereitschaft zu einem Vergleich weitaus höher ist, als am Anfang des Verfahrens. Auch wenn die Versicherungen es immer bestreiten, so handelt es sich um eine klar zu erkennende Strategie, das Verfahren so weit wie möglich in die Länge zu ziehen. Es kommt zu völlig unmotivierten Vergleichsangeboten, auf die man eher nicht eingehen sollte. Es kommt zu Befangenheitsanträgen gegen die Sachverständigen, die gänzlich substanzlos sind oder es wird auf prozessuale Formalitäten gepocht, die nichts anderes erbringen können, als das Verfahren zu verlängern. Ziel dieser Strategie ist es, die Patientenseite zu zermürben, damit ein Vergleich auf niedrigem Niveau abgeschlossen wird. Zudem fällt der zukünftige Schadensersatzanspruch weg, sobald das Kind verstorben ist. Das Hoffen auf ein frühes Versterben kann ebenfalls der Versicherung unterstellt werden.

Wer dennoch einen Vergleich abschließen will, sollte auf Folgendes achten.

5. Der Vergleich

Zwingende Grundlage eines jeden Vergleichs ist es, die Höhe aller im Raum stehenden Ansprüche zu kennen. Wenn der Anwalt nicht weiß, ob der potentielle Anspruch sich auf 1 Mio Euro oder nur auf 100.000,00 Euro beläuft, kann er nicht erfolgreich verhandeln. Wenn erhebliche Ansprüche nicht einmal bedacht werden, ist es kaum verwunderlich, wie leicht die Versicherung einem Vergleich zugestimmt hat. Der Vergleich stellt die größte Haftungsfalle für den medizinrechtlich tätigen Anwalt dar.

a) Vergleich für Geschäftsunfähige und Mündel

Steht das Kind unter Vormundschaft oder unter einer rechtlichen Betreuung, so kann ein Vergleich zwar ohne Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts abgeschlossen werden. Dieses kann dem Vergleich allerdings die Genehmigung verweigern, so dass er nicht wirksam wird und zurückabgewickelt werden müsste. Daher sollte das Vormundschaftsgericht vorher informiert werden und eine Genehmigung zum Abschluss des Vergleichs eingeholt werden.

b) Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten sich zu vergleichen.

aa) Üblich ist der allumfassende Abschluss durch den Vergleich, so dass eine Abfindungszahlung geleistet wird und im Gegenzug alle Ansprüche in seiner Gesamtheit, für die Vergangenheit, die Zukunft, ob bekannt oder unbekannt abgegolten sind. Weitere Ansprüche können dann nicht mehr erhoben werden, auch nicht, wenn in der Zukunft einfache Änderungen der Tatsachenlage vorliegen. Nur für den Fall, dass sich die Tatsachenlage grundlegend geändert hat, gibt es Möglichkeiten, den Vergleich anzufechten oder Ansprüche geltend zu machen, die nicht vom Vergleich umfasst waren. Hier gelten allerdings sehr strenge Maßstäbe, so dass später nur selten weitere Ansprüche durchgesetzt werden können.

bb) Daneben gibt es den Teilvergleich, der in mehreren Varianten auftritt. Oft einigt man sich nur bezüglich des Schmerzensgeldes, weil es hier einen großen Spielraum für die Parteien und auch für das Gericht gibt. Da das Schmerzensgeld sich an der geltenden Rechtsprechung orientiert, können diverse Urteile zitiert werden, in denen bei ähnlicher Fallgestaltung bereits das Schmerzensgeld beziffert worden ist. Liegen beide Seiten nicht so weit entfernt, fällt die Einigung dann leichter. Offen bleiben dann alle anderen weiteren materiellen Ansprüche.

Möglich ist auch, dass man sich hinsichtlich aller vergangenen Ansprüche einigt und die zukünftigen Ansprüche offen lässt. Besonders dann, wenn noch eine oder mehrere Operationen ausstehen und die gesundheitlichen Folgen ungewiss sind, will man sich als Patient nicht alle zukünftigen Ansprüche abschneiden, die auf eine misslungene OP oder einem besonders negativen Heilungsverlauf beruhen.

cc) Schließlich kann es auch geschehen, dass die Gegenseite einen Teil der Ansprüche einfach anerkennt, was bei Behandlungskosten oder Umbaumaßnahmen schon mal der Fall ist. Bei Ansprüchen, bei denen die Belege fehlen, wird dann nur die Hälfte bezahlt und die Höhe des Schmerzensgeldes dann einvernehmlich verglichen. Weitere Ansprüche werden dann entweder auf Anforderung bezahlt oder nur teilweise beglichen. Dies hat den Vorteil, dass immer mal wieder Geld eingeht und mit jeder Zahlung die Verjährungsfrist aufs Neue beginnt. Der Nachteil ist, dass über Jahre eine konkrete Buchführung zu erstellen ist, damit der Überblick über die Zahlungen und offenen Ansprüche erhalten bleibt.

c) Besondere Risiken des Vergleichs

aa) Übersehen eigener Ansprüche

Ein Risiko besteht darin, dass im Vergleich Ansprüche überhaupt nicht berücksichtig worden sind und diese dann ersatzlos entfallen. Das kann eigentlich nur durch solche Anwälte geschehen, die sich auf dem Gebiet gar nicht auskennen.

bb) Übersehen Ansprüche Dritter: private Krankenversicherung (pKV)

Darüber hinaus besteht das Risiko, dass Ansprüche Dritter mit in den Vergleich aufgenommen werden und diese dann ebenfalls – meist unwissentlich – mit abgefunden werden. Problematisch ist es bei Vorhandensein einer privaten Krankenversicherung (pKV), wobei der Patient die Kosten erst selbst bezahlt und sich diese dann von der pKV zurückerstatten lässt. Wenn der Vergleich allerdings jegliche Kosten mit einschließt, dann auch die Kosten der Heilbehandlung. Kommt es also zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation mit langem Krankenhausaufenthalt und ggf. Operationen, dann hat der privat versicherte Patient diese Behandlungskosten selbst bzw. aus der Vergleichssumme zu bezahlen. Klarzustellen ist, dass dies nur für die pKV gilt und gerade nicht für die gesetzliche Krankenkasse. Dies liegt daran, dass gesetzlich vorgeschrieben ist, dass der Anspruch zum Ersatz der die Behandlungskosten gemäß gesetzlichem Übergang (§§ 116, 119 SGB X, § 86 VVG) zu keinem Zeitpunkt beim Kassenpatienten lag. Er kann anders als bei den privaten Behandlungskosten nicht über diese verfügen.

cc) Übersehen Ansprüche Dritter: Finanzamt

Werden Zahlungen auf einen Vergleich bezahlt, stellt sich immer wieder die Frage, ob dies zu versteuern ist. Schmerzensgeld ist nie zu versteuern. Beruht ein Teil des Betrags auf einen Einkommensschaden, ohne dass eine tatsächlich einmal ausgeübte Tätigkeit wegfällt, so handelt es sich nicht um eine Entschädigung im Sinne des § 24 EStG und ist daher nicht zu versteuern. Beachte: Bei Geburtshelferschäden kommt eine Versteuerung also nie in Betracht. Bei erwachsenen Berufstätigen, die geschädigt wurden, dagegen schon. Aufgrund der Höhe der Ansprüche sollte man zur Sicherheit immer einen Klausel in den Vergleich mit aufnehmen, die jedes Steuerrisiko ausschließt.

In jedem Fall ist der eigene Rechtsanwalt zu einer umfassenden Aufklärung hinsichtlich der rechtlichen Folgen des Vergleichs verpflichtet. Beruht der Anwaltsvergleich auf einem rechtlichen Irrtum des Patienten, so besteht dennoch kein Anfechtungsrecht. Dies gilt weil der Rechtsanwalt den Vergleich abschließt und ein Rechtsirrtum dann grundsätzlich nicht in Betracht kommt.

6. Die Ansprüche

a) Schmerzensgeld

Gemäß § 253 BGB erhält jemand der einen Schaden erlitten hat, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld. Der auf einen Arztfehler beruhende Gesundheitsschaden fällt hierunter. Er wird allgemein als Schmerzensgeld bezeichnet, obwohl der Ausgleich für alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen und nicht nur für die Schmerzen gezahlt wird.

Von besonderem Interesse ist, wie hoch die angemessene Entschädigung für den jeweiligen Gesundheitsschaden ausfällt. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Rechtsprechungsübersichten, in denen alle Arten von Beeinträchtigungen aufgelistet werden in Verbindung mit der entsprechenden Entscheidung eines Gerichts. Diese Urteilssammlungen werden als Schmerzensgeldtabellen bezeichnet. Dies vermittelt den Eindruck, dass es für ein konkretes Verletzungsmuster ein bestimmtes Schmerzensgeld gibt. Dies ist nur bedingt richtig und allenfalls für kleinere Verletzungen ohne Dauerschaden anzunehmen. Die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes ist individuell zu ermitteln. Das bedeutet, dass wenn die gleiche Beeinträchtigung von zwei Personen unterschiedlich erlebt und ertragen werden, auch ein unterschiedliches Schmerzensgeld angemessen ist. Die Auswirkungen einer Verletzung spielt eine erhebliche Rolle, genau wie die Verletzung selbst. Ferner gibt es in jedem Fall Abstufungen der Intensität der Verletzung. Die Sehkraft kann zu 10% oder zu 50% gestört sein bis hin zur Blindheit. Je intensiver die Beeinträchtigung ist, desto höher sollte das Schmerzensgeld ausfallen. Bei einem hypoxischen Hirnschaden gilt das gleiche. Besteht nur eine leichte Behinderung ist ein viel geringeres Schmerzensgeld zu zahlen als bei einer schweren Beeinträchtigung mit hohem Pflegebedarf. Am schwerwiegendsten wird nicht das Wachkoma mit geringem oder keinem feststellbarem Bewusstsein angesehen, sondern wenn das verletzte Kleinkind trotz schwerster Gehirnverletzungen mit all den schweren Ausfallerscheinungen auch noch eine Erinnerungsfähigkeit an die Zeit vor dem Vorfall und emotionale Gesten erkennbar sind. Das höchste Schmerzensgeld wurde in einem solchen Fall vom Landgericht Aachen im Urteil vom 30. November 2011 – 11 O 478/09 in Höhe von  700.000 € anerkannt. Das höchste Schmerzensgeld nach einem Geburtsfehler wurde vom Landgericht Gera vom 06.05.2009 mit 600.000,00 Euro Schmerzensgeld ausgesprochen. Eine Tendenz zu noch höheren Schmerzensgeldbeträgen ist derzeit nicht zu erkennen. Die Gerichte richten sich bei der Höhe des Schmerzensgeldes nach bereits ausgeurteilten vergleichbaren Fällen. Hierdurch soll ein ausgewogenes System der Schmerzensgeldhöhe entstehen, dass auch die Interessen der Versicherungswirtschaft Rechnung trägt.

Folgende Urteile wurden beispielsweise im Falle von Geburtsfehlern ausgeurteilt:

Aufgrund eines Volumenmangelschocks mit schwersten Organschäden und Tod nach drei Tagen wurden 10.000,00 Euro ausgeurteilt (2002).

Für eine Plexuslähmung am linken Arm wurden 20.000,00 Euro (1996) bis 70.000,00 Euro (mit weiteren Schäden) ausgeurteilt (2013).

Für eine Mehrfachbehinderung mit rechtsbetonten Bewegungsstörungen, deutliche Störung des Sprachvermögens, der intellektuellen Leistungsfähigkeit und der Wahrnehmung wurden 110.000,00 Euro zuzüglich immateriellen Vorbehaltes ausgeurteilt (2010).

200.000,00 Euro an Schmerzensgeld wurden anerkannt für eine Hirnschädigung mit Mikrocephalie, spastische beinbetonte Tetraparese, geistige Behinderung mit zerebralen Krampfanfällen und lebenslänglicher Pflegebedürftigkeit (2012).

Aufgrund einer Gehirnschädigung in Form einer schweren Cerebralparese in Verbindung mit einer ausgeprägten geistigen Behinderung, Störung der Blasenkontrolle, Innenschielen, spastisch betonte vorwiegend rechtsbetonte Tetraparese mit dauerhafter Pflegebedürftigkeit und wöchentlicher krankengymnastischer Therapien und Kontrollen wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,00 Euro (2008) ausgeurteilt. Im Alter von 8 Jahren erreichte das Kind einen motorischen und sprachlichen Entwicklungsstand eines 17 Monate alten Kindes.

400.000,00 Euro hat im Jahre 2006 ein Kind erhalten, das infolge eines Geburtsfehlers eine schwere psychoneurologische Behinderung in Form einer Tetraparese mit einer zentralvenösen schweren Wahrnehmungsstörung und einer schwerwiegenden Sehbehinderung erlitten hat. Es kann nicht alleine sitzen oder liegen, kann sich ohne Hilfe nicht ernähren, ist fast taub und kann sich verbal nicht ausdrücken. Seine Mimik und Gesten sind eingeschränkt.

Für eine schwerste hypoxisch-ischämische Enzephalopathie mit täglich epileptischen Anfällen, Apnoe, Bradykardien, muskuläre Hypotonie, Wasserkopf, schwere psychomotorische Retardierung, spastische Zerebralparese des höchsten Grades V und eine zentrale Schluckstörung hat das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 Euro (2011) ausgeurteilt. Das Kind ist nicht in der Lage Kontakt zur Außenwelt aufzubauen, womit die Basis zur Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit genommen wurde. In seiner gesamten Entwicklung bleibt das Kind auf der Entwicklungsstufe eines 3 Monate alten Säuglings zurück.

600.000,00 Euro wurden für einen Geburtsfehler mit folgenden schwersten und kaum erträglichen Beeinträchtigungen ausgeurteilt. Es lag eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie, Zerebralparese, schwere spastische Tetraplegie, schwerste geistige Behinderung, schwere statomotorische Retardierung, ein massives Hirnödem, ein Hirninfarkt und Epilepsie vor. Die geistigen und körperlichen Behinderungen sind von kaum vorstellbarer Art. Das Kind kann niemals Kindheit, Jugend, Erwachsenensein und Alter bewusst erleben und seine Persönlichkeit entwickeln. Sein Leben ist weitgehend auf die Aufrechterhaltung vitaler Funktion, die Bekämpfung von Krankheiten und die Vermeidung von Schmerzen beschränkt. Das Verweigerungs- und Verzögerungsverhalten der Versicherung wurde vom Gericht so eingeschätzt, dass dies alleine zum Zweck diente, den Geschädigten zu einem sachlich nicht gerechtfertigten Nachgeben zu bewegen.

Bei einem Vergleich der Vielzahl an gerichtlichen Entscheidungen und der jeweiligen Begründungen wird deutlich, dass der Unterschied zwischen den Beeinträchtigungen oft nicht so groß erscheint, dass dies einen Unterschied in der Schmerzensgeldhöhe von 100.000,00 Euro oder mehr rechtfertigt. Es ist erkennbar, dass je mehr und umfassender vorgetragen wurde, desto eher wurde ein Betrag von über 400.000,00 Euro ausgeurteilt. Dies bedeutet, dass je umfassender das Ausmaß, die Schwere und die Intensität der Beeinträchtigungen vorgetragen werden und je detaillierter die Beeinträchtigungen des Alltags dargestellt werden, desto eher wird das Schmerzensgeld im oberen Bereich liegen. Das bedeutet für die Eltern und den Anwalt eine besonders enge und intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Folgen der Behinderungen. Es bedeutet eine emotionale Verständigung auf Basis eines besonderen Vertrauensverhältnisses. Denn der Anwalt ist gehalten, mit Hilfe der Mandantschaft, diese Details dem Gericht nahezubringen.

b) Der Entgeltschaden

Oftmals haben die Betroffenen keine Vorstellungen davon, was über das Schmerzensgeld hinaus für weitere Ansprüche existieren. Die Höhe dieser weiteren Ansprüche kann leicht das Schmerzensgeld übertreffen. Der Entgeltschaden ist im Geburtsschadensrecht erst mal nicht so naheliegend, da ein solcher landläufig nur dann angenommen wird, wenn die vorhandene Arbeitskraft beeinträchtig wird oder wegfällt. Allerdings ist es für diesen Anspruch überhaupt nicht notwendig, dass eine Arbeitsfähigkeit irgendwann bestanden hat. Vielmehr muss man sich den Lebenslauf des Kindes ohne Arztfehler denken. Wäre das Kind ohne Behinderung, hätte es nach dem üblichen Lauf der Dinge auch irgendeinen Beruf ergriffen. Dann würde ab dem 18. Lebensjahr, ggf. auch später der Entgeltschaden anfallen. Als Anhaltspunkt für die wahrscheinliche Berufswahl wird das Berufsbild der Eltern zugrunde gelegt (vgl. BGH Urt. v. 05.10.2010, Gz. VI ZR 186/08). Das heißt, wenn die Eltern studiert haben, wird angenommen, dass das Kind ohne Behinderung auch studiert hätte. Sind die Eltern Handwerker wird angenommen, dass das Kind auch einen Handwerksberuf erlernt hätte. Je nach Verdienst kann ab dem 20. Lebensjahr beispielsweise ein Nettojahresentgelt von 24.000,00 Euro und ein dann stufenweise erhöhtes Entgelt verlangt werden. Bei studierten Eltern kann man ohne weiteres ab dem 25. Lebensjahr ein Jahresentgelt in Höhe von zum Beispiel 36.000,00 Euro und darüber hinaus verlangt werden. Allerdings sind soziale Leistungen, die aufgrund der Behinderung gezahlt wurden, anzurechnen. Entsprechend können häufig Jahreszahlungen um die 25.000,00 Euro verlangt werden. Bei einer Lebensarbeitszeit von durchschnittlich 42 Jahren kann sich leicht ein Entgeltschaden in Höhe von insgesamt 1,05 Mio Euro ergeben.

Der Entgeltschaden wird als Nettoentgelt verlangt, weil üblicherweise die Zahlungen für Steuern und die Sozialabgaben zum Entgelt direkt an die einzelnen Träger und das Finanzamt abgeführt werden. Ferner sind die ab dem Zeitpunkt der fiktiven Arbeitsaufnahme die sozialen Leistungen abzuziehen, die aufgrund der Behinderung gezahlt werden. Aufgrund der Tatsache, dass die Sozialhilfeträger die gezahlten sozialen Leistungen von dem schädigenden Geburtshelfer zurückverlangen können (sogenannter Regressanspruch) sollten diese bei Einleitung eines Arzthaftungsprozesses in Kenntnis gesetzt werden. Diese verlangen ihrerseits Ansprüche von dem Schädiger. Man könnte dabei auf die Idee kommen, dass die Krankenkassen dann ihrerseits ein Klageverfahren gegenüber dem Geburtshelfer anstrengen würden. Leider ist das in der Praxis nicht der Fall. Vielmehr warten diese das Verfahren des Patienten gegen den Behandler ab und halten sich dann an das vom Patienten hart erarbeitetes Ergebnis.

c) Der Pflegeschaden

Da die Pflege eines behinderten Kindes aufwändig ist und hierbei auch erhöhte Kosten entstehen, werden oft die hierfür bezahlten Rechnungen gesammelt und dann vorgelegt. Allerdings geht es bei dem Pflegeschaden gar nicht um den Ersatz solcher Zahlungen, sondern um den Ersatz der aufgewendet Zeit für die Pflege. Wenn die Eltern ihr Kind nicht selbst Pflegen, dann entstehen die Kosten eines Pflegedienstes, die nicht unerheblich sind. Diese können vollständig von der Gegenseite verlangt werden. Wenn die Eltern das Kind selbst pflegen, entstehen erstmal keine solchen Kosten. Das soll dem Schädiger aber nicht zugutekommen, so dass dieser private Zeitaufwand ebenfalls als Schadensposition finanziell ersetzt wird. Hier hat es sich bewährt, einen Tagesplan zu erstellen, in dem minutengenau aufgeführt wird, welche Pflegemaßnahmen zu welchem Zeitpunkt durchgeführt werden. Der Stundenlohn wird angelehnt an den einer ungelernten Pflegekraft zum ortsüblichen Lohn. Das kann zwischen 10,00 Euro und 16,00 Euro liegen. Sind besondere Pflegemaßnahmen durchzuführen, die nur von Fachpersonal durchgeführt werden können und sich die Eltern dieses Fachwissen aneignen, können auch Stundenlöhne einer gelernten Fachkraft zugrunde gelegt werden. Oft stellt sich die Frage, ob auch Bereitschaftszeiten zu erstatten sind. Bei schwer geschädigten Kindern kann es nachts zu epileptischen Anfällen kommen, auf die unmittelbar reagiert werden muss. Da es nicht vorherbar ist wann und wie oft solche Anfälle auftreten, ist rund um die Uhr eine Bereitschaftsperson anwesend. Diesbezüglich kann auf das Arbeitsrecht verwiesen werden, in denen Zeiten der Bereitschaft nicht mit dem üblichen Stundenlohn gleichzusetzen wäre, aber mindestens mit dem Mindestlohn. Seit dem 01.01.2017 beträgt der Mindestlohn nicht mehr 8,50 Euro, sondern 8,84 Euro. Fallen also täglich 6 Stunden aktive Pflegezeiten an und 8 Stunden Bereitschaftszeiten ergäbe sich bei einem üblichen Stundenlohn von 12,00 Euro ein Tagessatz von 142,72€(= 6x 12,00€ + 8x 8,84€). Im Jahr würde der fiktive Pflegeschaden 51.950,08 Euro anfallen. Rechnet man den Betrag nur auf 40 Jahre Lebenszeit hoch läge der fiktive Pflegeschaden bei über 2 Mio Euro. Bei einem schwer geschädigten Neugeborenen handelt es sich bei dem Pflegeschaden meist um den höchsten zu beziffernden Schaden.

Wird das Kind aufgrund der geburtsbedingten Behinderungen in einem Pflegeheim oder von einer bezahlten Pflegeperson gepflegt, entstehen noch viel höhere Kosten. Die Kosten eines Pflegeheims liegen oft zwischen 4.000,00 Euro und 5.000,00 Euro monatlich, so dass dabei leicht pro Jahr 60.000,00 Euro entstehen. Bei entsprechenden Behinderungen und hohem Pflegebedarf entstehen in manchen Pflegeheimen bis zu 20.000,00 Euro an Pflegekosten monatlich. Bei einem über Jahre und Jahrzehnte andauernde Unterbringung entstehen erhebliche Kosten und entsprechend hohe Schadensersatzforderung.

Nicht zu vergessen ist, wenn Pflegegeld von der Pflegekasse bezahlt wird, dass dieses auf den Pflegeschaden anzurechnen ist.

d) Der Haushaltsführungsschaden

Der Haushaltsführungsschaden wird in der Regel nicht von der Patientenseite angesprochen, weil das Kind nie in seinem Leben den Haushalt geführt hat und dies nie können wird. Weil hier eine aktive Leistung nicht nachträglich wegfällt, wird dies nicht als Schaden empfunden. Eventuell liegt der Schaden auch so weit in der Zukunft, dass er vergessen wird. Entsprechend wichtig ist, dass der Rechtsanwalt darauf hinweist und die Berechnungsgrundlage dafür zur Verfügung stellt. Auch hier muss bedacht werden, wie das Leben des Kindes ohne den Arztfehler bzw. ohne die Behinderung verlaufen wäre. Üblicherweise würde das Kind als Erwachsener  einen eigenen Haushalt führen. Wenn das Kind also älter als 20 Jahre ist, hätte ohne Behinderung niemand anderer dessen Haushalt führen müssen.

aa) Fiktiver Haushaltsführungsschaden

Tatsächlich ist es oft so, dass die Eltern den Haushalt des Kindes führen und führen werden, solange sie leben. Dadurch müssen keine Zahlungen an einen Pflegedienst oder sonstige Pflegeperson bezahlt werden. Die Haushaltsführung wird von der Familie oder Freunden kostenfrei erbracht. Allerdings soll dies dem Schädiger nicht zugutekommen. Daher wird fiktiv so getan, als würden diese Leistungen vom behinderten Kind bezahlt. Es erfolgt eine fiktive Berechnung des Haushaltsführungsschadens. Dabei geht man von dem üblichen Maß der Tätigkeiten in einem üblichen Haushalt aus. Üblicherweise führt ein alleinlebender Erwachsener im Durchschnitt seinen Haushalt innerhalb von 21,7 Stunden in der Woche aus. Bei einem geburtsgeschädigten und deswegen behinderten Erwachsenen fällt dann ein entsprechender Haushaltsführungsschaden an. Seit der Einführung des § 21 JVEG im Jahre 2013 kann von 2013 bis 2016 ein Stundenlohn von 12,00 Euro und seit 2017 in Höhe von 14,00 Euro geltend gemacht werden. Vorher war die Höhe von den Gerichten uneinheitlich bewertet worden und nach dem jeweils ortsüblichen ausgeurteilt worden. Es wurde zwischen 8,00 Euro und 14,00 Euro pro Stunde ausgeurteilt. Durch die neue Gesetzeslage besteht ein Anspruch auf pauschal 12,00 Euro bzw. ab 2017 auf 14,00 Euro. Das heißt in der Woche entsteht bei entsprechender Tatsachenlage ein Haushaltsführungsschanden von 303,80 Euro (14,00x 21,7) und pro Jahr 15.797,60 Euro (14x 21,7x 52). Auf eine Lebenszeit von 40 Jahren hochgerechnet, berechnet sich ein fiktiver Schaden in Höhe von 631.904,00 Euro.

bb) Tatsächlicher Haushaltsführungsschaden

Wenn die Haushaltstätigkeit von einer bezahlten Haushaltshilfe durchgeführt wird, werden die tatsächlich anfallenden Kosten bei der Gegenseite als Schaden geltend gemacht. Hierbei kann es sein, dass die bezahlte Haushaltshilfe nur einen Grundbedarf abdeckt und der Rest von der Familie erledigt wird, so dass man sowohl fiktiven als auch tatsächlichen Haushaltsführungsschaden geltend machen kann. Abzugrenzen sind die Zeiten der Haushaltsführung von der Pflege. Das Kleinschneiden von Lebensmitteln in mundgerechte Stücke ist in der Regel Hilfe zur Nahrungsaufnahme also Pflege und nicht Teil der Haushaltsführung.

e) Weitere vermehrte Bedürfnisse

Grundsätzlich handelt es sich bei dem Pflegeschaden und dem Haushaltsführungsschaden um Ansprüche aufgrund vermehrter Bedürfnisse. Aber da sie so wichtig sind, wurden sie hier vorab erwähnt. Jedenfalls kann das geschädigte Kind alle Kostenpositionen verlangen, die aufgrund der geburtsfehlerbedingten Behinderung zusätzlich anfallen. Darunter fallen die weiteren im Folgenden genannten Ansprüche.

aa) Behindertengerechtes Wohnen

Aufgrund der Behinderung müssen oft die Wohnverhältnisse angepasst werden. Beispielsweise müssen die Türen verbreitert werden, Badewannen und Waschbecken benötigen besondere Maße oder zusätzliche Anfertigungen. Die Kosten solcher Umbaumaßnahmen hat die Gegenseite zu erstatten. Oft kommt es vor, dass von einem Umbau abgesehen wird und eine behindertengerechte Mietwohnung bezogen wird. Solche Wohnungen sind im Durchschnitt 15% bis 25% teurer als gewöhnliche Wohnungen. Diese Mietdifferenz und die Umzugskosten können ebenfalls als Schaden geltend gemacht werden.

Zahlungen der Pflegekasse auf diese Umbaumaßnahmen werden angerechnet.

bb) Urlaub

Auch ein behinderter Mensch hat Anspruch auf Urlaub. Allerdings kann er diesen oft nicht ohne Hilfspersonen durchführen, so dass die Kosten einer Begleitperson für den Urlaub als Schaden geltend gemacht werden können. Für die Zukunft sollte man das vorab mit der Versicherung abklären. Für Urlaube in der Vergangenheit kann dies auch rückwirkend verlangt werden, wenn denn die Nachweise noch vorhanden sind.

cc) Zuzahlungen zu Hilfsmitteln u.a.

Die notwendigen Heilbehandlungskosten müssen erst bei der Krankenkasse geltend gemacht werden. Die Krankenkasse hat dann Regressansprüche gegenüber dem Schädiger. Insofern ist es wichtig, dass die jeweilige Krankenkasse von dem Arztfehler und dem Ausgang des Rechtsstreites erfährt. Manche Kosten können auch direkt bei der Versicherung angemeldet werden, weil es dieser oft egal ist, ob sie es dem Patienten oder der Krankenkasse erstattet (z.B. Kosten einer Schuherhöhung, Brillengläser, Hörgeräte etc.). Für den Fall, dass die Krankenversicherung die notwendigen Therapien, Hilfsmittel und Medikamente nicht vollständig bezahlt, muss der Patient Zuzahlungen leisten. Sind diese auf den Geburtsfehler bzw. die Behinderung zurückzuführen, können sie ebenfalls als Schaden verlangt werden.

dd) Bei Verweigerung der Krankenkasse

Immer wieder kommt es vor, dass die Krankenkasse notwendige medizinische Hilfsmittel verweigert, was unmittelbar zu besonderen Problemen führt. Hier wäre grundsätzlich ein sozialrechtliches Verfahren gegen die gesetzliche Krankenkasse durchzuführen. Da diese sehr lange dauern können und Hilfe schnell notwendig wäre, ist anzuraten, diese Kosten direkt bei der gegnerischen Versicherung anzumelden. Wenn ein Attest die medizinische Notwendigkeit bestätigt, zahlen die Versicherungen häufig für solche Hilfsmittel direkt an den Patienten. Hier benötigt die Haftpflichtversicherung aber immer die Originalrechnungen und das ablehnende Schreiben der Krankenkasse.

ee) Fahrtkosten

Sowohl die Fahrtkosten des Kindes zu Ärzten und anderen Behandlern als auch die Fahrtkosten einer Begleitperson können von der Gegenseite erstattet werden. In der Regel reicht eine plausible Liste aus, die das Datum und den Ort des Behandlers mit Kilometerangaben enthält. Falls Nachweise der Arzttermine gefordert werden, kann man diese beim Behandler anfragen. Pro Kilometer können 30 Cent verlangt werden, auch wenn manche Versicherungen nur 25 Cent anerkennen wollen. Bei Taxifahrten ist immer die Taxiquittung vorzulegen. Bei Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sollte man die Höhe der Kosten für eine Fahrt nachweisen und dann ebenfalls die einzelnen Fahrten auflisten. Alle Tickets über Jahre zu sammeln und dann diese der Versicherung einzureichen, ist eher nicht empfehlenswert. Das ist zwar eine Möglichkeit, führt aber zu einem extremen Arbeitsaufwand. Viel eleganter ist der erstgenannte Weg über die Kilometerpauschale, der ebenfalls zum Ziel führt.

ff) sonstiges

Diese Liste kann nicht abschließend sein, denn aufgrund der unterschiedlichsten Arten von Behinderungen kommt es immer wieder zu überraschenden Anfragen, ob dies oder jenes ebenfalls erstattungsfähig ist. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Voraussetzung hierfür grundsätzlich die jeweilige medizinische Notwendigkeit ist oder ein zwingender Bedarf aufgrund der Behinderung.

Aus diesem Grund ist auch die zuständige Krankenkasse über ein solches Verfahren in Kenntnis zu setzen, damit diese vorrangig die Kosten hierfür übernimmt. Erst wenn diese nicht zahlt, sollte man sich direkt an die Haftpflichtversicherung wenden.

gg) Notwendige Rechtsverfolgungskosten

Schließlich können die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung von der Gegenseite verlangt werden. Dies beinhaltet die Kosten für einen Rechtsanwalt und die gegebenenfalls notwendigen Verfahrenskosten. Klarzustellen ist, dass bei Beauftragung eines zweiten Rechtsanwaltes nur einmal die Kosten erstattet werden. Wenn also in einem laufenden Verfahren der Anwalt gewechselt werden soll, kann es sein, dass doppelte Anwaltskosten anfallen, wobei die Gegenseite diese Kosten nur einmal zu zahlen hat.

Falls eine Rechtsschutzversicherung vorhanden ist, so ist dies eine erhebliche finanzielle Entlastung bei der Durchsetzung der Ansprüche. Bei einem Anwaltswechsel hilft diese aber oft nicht weiter, denn diese muss ebenfalls nur die Kosten eines Anwaltes bezahlen. Vor einem Anwaltswechsel ist es empfehlenswert mit dem Anwalt zu sprechen und ihm mitzuteilen, weshalb die Erwartungen hinter dem Tatsächlichen zurückbleiben. Hat er eventuell nur langsam gearbeitet oder lagen Missverständnisse vor, kann die Tätigkeit auch weitergeführt werden. Wenn allerdings die Vertrauensbasis zerstört ist, muss man Konsequenzen ziehen.

Die meisten Betroffenen von Geburtsschäden recherchieren sowieso sehr viel im Internet, was auch die Suche nach einem kompetenten Anwalt betrifft. Es sollte mindestens ein Fachanwalt für Medizinrecht sein, der ausschließlich die Patientenrechte vertritt und sich ersichtlich auf das Arzthaftungsrecht spezialisiert hat.

7. Fristen

a) Die Verjährungsfrist

Es gibt in Arzthaftungsangelegenheiten zwei Verjährungsfristen. Gemäß § 199 BGB verjährt der Anspruch infolge eines Geburtsfehlers entweder in drei oder spätestens in 30 Jahren.

aa) Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt ab positiver Kenntnis des Arztfehlers. Positive Kenntnis liegt nicht schon dann vor, wenn der Patient vermutet, dass ein Fehler geschehen ist oder wenn er aufgrund des negativen gesundheitlichen Verlaufs aus eigener Anschauung fest davon überzeugt ist, dass ein Arztfehler vorliegt. Viele negative gesundheitliche Verläufe sind schicksalhaft und beruhen nicht auf einen Arztfehler. Der Anspruchsteller muss nicht nur Kenntnis der Folgen eines Fehlers haben, sondern er muss Tatsachen kennen, die unzweideutig auf den Arztfehler schließen lassen. Dies ist in der Regel erst dann der Fall, wenn ein positives medizinisches Gutachten vorliegt.

Nur in den offensichtlichen Fällen wird für die Kenntnis kein Gutachten benötigt. Das ist dann der Fall, wenn der Arztfehler auf der Hand liegt und sich dies auch einem Laien ohne weitere Nachforschung erschließen kann. Das sind zum Beispiel Stürze des Patienten vom Behandlungstisch, Verwechslungen von Medikamenten u.ä., besondere Verletzungen bei der Geburt wie erhebliche Wundmale am Schädel bei Zangengeburt. Sind die betroffenen Eltern selbst Arzt oder Hebamme kann ein Spezialwissen vorausgesetzt werden, so dass die Verjährungsfrist ebenfalls sofort zu laufen beginnen könnte.

Darüber hinaus setzt die dreijährige Verjährungsfrist auch dann ein, wenn eine grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt. Das bedeutet, dass der Patient eine besondere Kenntnis erlangt hat, die ihn zumindest hätte veranlassen müssen, erheblich an der fehlerfreien Arbeit des Geburtshelfers zweifeln zu lassen. Hier reicht eine grobe Kritik eines Arztes über den Behandler aus: Äußert ein Facharzt über den Behandler „dem müsste man die ärztliche Zulassung entziehen“ oder dem „gehören die Ohren langgezogen“, so kann dies den Verjährungsbeginn auslösen.

Die dreijährige Verjährung beginnt zum Ende des Jahres, am 31.12. in dem die Kenntnis erlangt wurde. Sie endet drei Jahre später am 31.12.

bb) Ohne positive Kenntnis des Arztfehlers verjähren die Ansprüche spätestens in 30 Jahren. Diese 30-jährige Verjährungsfrist beginnt mit dem Arztfehler, also bei Geburtshilfefehlern mit der Geburt. Sie läuft vom 31.12. des Ereignisjahres und endet am 31.12. nach 30 Jahren. Oft kommt es vor, dass behinderte Personen sich im mittleren Alter fragen, ob die eigene Behinderung, die von Geburt an besteht, nicht durch einen Geburtshelferfehler entstanden sein könnte. Dann haben Betroffene bis zu einem Alter von 30 Jahren noch die Möglichkeit ein Verfahren einzuleiten. Allerdings muss überprüft werden, ob nicht die Voraussetzungen für die kurze Verjährung vorgelegen haben. Es kommt vor, dass die Eltern von dem Geburtsfehler wussten bzw. hätten wissen müssen und dann zu spät Maßnahmen ergriffen haben, um die dreijährige Verjährungsfrist zu hemmen. Dies wirkt sich natürlich für die dann erwachsene Person aus, die sich das Verschulden bzw. die Kenntnis der Eltern hinsichtlich des Arztfehlers zurechnen lassen muss. Älteren Personen über 30 Jahren muss man ein Vorgehen von vorneherein abraten, weil die Angelegenheit dann verjährt ist.

Die Verjährung wird durch eine rechtzeitige Klage gehemmt. Es gibt noch andere Möglichkeiten die Verjährung zu hemmen. Die Wichtigste sei hier speziell genannt. Die Einleitung eines Verfahrens vor einer offiziellen Schlichtungsstelle verhindert die Verjährung ebenfalls. Wenn also die Verjährung unmittelbar bevorsteht, kann man statt der Klage, die ja intensiv vorbereitet werden sollte, das Gutachtenverfahren bei einer Schlichtungsstelle betreiben. Selbst für den Fall, dass die Gegenseite dem Gutachtenverfahren nicht zustimmt, wirkt der Antrag verjährungshemmend. Der Antrag muss nur spätestens vor Ablauf des 31.12. bei der Schlichtungsstelle eingegangen sein und muss nicht von einem Anwalt eingereicht werden. Ab dem Beschluss, der das Verfahren beendet, hat der Antragsteller mindestens 6 Monate Zeit die Klage zu erheben. Solange wird die Verjährung gehemmt. Beachtenswert ist, dass dann die Verjährungsfrist nicht zum 31.12. endet.

b) Aufbewahrungsfristen

Eine Klage kann nur Erfolg haben, wenn die medizinischen Unterlagen noch vorhanden sind, so dass darauf ein Sachverständigengutachten gestützt werden könnte. Die Aufbewahrungsfrist für Unterlagen, die eine medizinische Behandlung dokumentieren, beträgt 10 Jahre, gerechnet von der Beendigung der Behandlung. Tatsächlich bedeutet das, dass schon nach Ablauf von 10 Jahren die Ansprüche aufgrund eines Geburtsschadens nicht mehr durchsetzbar sein können. Dennoch sollte man versuchen, an die Unterlagen heranzukommen. Denn vieles wird heute elektronisch archiviert, so dass lediglich die Papierakten vernichtet sein könnten. Manche Behandler heben die Unterlagen auch noch viel länger auf, so dass man es auf einen Versuch ankommen lassen sollte. Wenn die Behandlerseite behauptet, dass die Akten vernichtet worden sind, sind die Erfolgsaussichten für ein Verfahren eher gering.

8. Risiken und Chancen

In jedem Rechtsstreit besteht das Risiko das Verfahren zu verlieren und umsonst Geld, Zeit und Nerven aufgewendet zu haben. Im Geburtsschadensrecht geht es um besonders hohe Prozesskosten, um besonders viel Zeit, die ein solches Verfahren dauern kann und um eine noch viel größere emotionale, seelische und nervliche Belastung. Zudem geht es unmittelbar um die gesundheitliche und finanzielle Zukunft des eigenen Kindes. Hier geht es also um das Wichtigste und Sensibelste im Leben überhaupt.

Die Erfolgsaussichten sind am besten vom Ende her zu beschreiben. Am Ende eines solchen Verfahrens steht üblicherweise ein Urteil. Das Urteil im Geburtsschadensrecht beruht im Wesentlichen auf ein Gutachten eines medizinischen Sachverständigen, der hier in der Regel ein Gynäkologe oder ein Kinderarzt ist. Ein solches Gutachten beruht auf die vorgelegten Patientenunterlagen. Ein Sachverständiger muss allerdings nur die Gutachterfragen prüfen, die ihm das Gericht stellt und diese Fragen ergeben sich aus den Beweisanträgen, die der Rechtsanwalt in seinen Schriftsätzen formuliert hat. Das Wesentliche, um überhaupt Erfolg haben zu können, sind also die besonderen Kenntnisse der Patientenakten und die Kenntnisse wie die Behandlung vor, während und nach der Geburt richtigerweise abläuft sowie die richtige Einordnung des Behandlungsgeschehens unter rechtlichen Aspekten.

Für die geschädigte Patientenseite ist es oft unverständlich, dass wenn ein Arztfehler festgestellt wurde, dass das Verfahren immer noch verloren gehen kann. Aber die Feststellung des Fehlers des Geburtshelfers ist nur die erste wichtige Hürde. Zu Beweisen ist auch, dass der Arztfehler den Gesundheitsschaden hervorgerufen hat und dieser nicht schon von Anfang an im Kind angelegt war. Man spricht von der Kausalität, die grundsätzlich die Patientenseite zu beweisen hat. Bei bestimmten Konstellationen dreht sich diese Beweislast zu Lasten des Geburtshelfers um. Dies ist der Fall, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Tatsächlich handelt sich um eine Einschätzung wie stark der Behandler vom üblichen medizinischen Standard abgewichen ist. Ist es noch im Bereich des Nachvollziehbaren liegt nur ein einfacher Fehler vor. Ist die Abweichung so gravierend, dass dies vor einen anderen Facharzt als völlig unverständlich beurteilt wird, handelt es sich um einen groben Behandlungsfehler. Wird ein grober Behandlungsfehler nachgewiesen, sind die Erfolgsaussichten das Verfahren zu gewinnen besonders hoch. Entsprechend ausführlich streiten die Rechtsanwälte mit dem Sachverständigen um dessen Einschätzung, ob der Fehler noch verständlich war oder nicht.

Alle Behandlungsfehler können in verschiedene Fehler eingruppiert werden (Diagnosefehler, Therapiefehler, Befunderhebungsfehler, Nachsorgefehler, Dokumentationsversäumnis). Der grobe Behandlungsfehler ist bei zwei Arten des Behandlungsfehlers regelmäßig anzunehmen. Der Diagnosefehler führt nur dann zum groben Behandlungsfehler, wenn die Diagnose fundamental falsch war. Typischer Fall ist das Übersehen einer auf einem Röntgenbild erkennbaren Fraktur.

Der Befunderhebungsfehler führt in der Regel zum groben Behandlungsfehler, der einfache Diagnosefehler nicht. Die Abgrenzung zwischen Diagnosefehler und Befunderhebungsfehler ist oft schwierig. Wenn der Gynäkologe zum Beispiel die vorgeburtliche Größe des Kindes vermisst und ein Normalgewicht und eine normale Größe des Embryos befundet, sich aber hinterher herausstellt, dass das Kind zu groß und zu schwer für eine normale Geburt war, dann kann es sich um einen Diagnosefehler handeln, weil die Diagnose einfach falsch war. Wenn allerdings die Messung zu früh stattgefunden hatte und danach keine weitere Messung erfolgte, kann es sich auch um einen Befunderhebungsfehler handeln. Denn dann wurde die Befundung nicht ordnungsgemäß zu Ende geführt. Die Erfolgsaussichten wären dann bei weitem besser, da vorliegend der Befunderhebungsfehler zur Annahme eines groben Behandlungsfehlers und einer Beweislastumkehr führen sollte.

Das Dokumentationsversäumnis stellt keinen eigenen Haftungstatbestand dar. Er kann aber unter bestimmten Umständen zur Annahme eines einfachen und sogar eines groben Behandlungsfehlers führen. Schließlich kann sich der Streit über den groben Behandlungsfehler auch erübrigen, wenn auch der einfache Fehler zur Haftung führt, weil kein anderer kausaler Verlauf denkbar war.

Wesentliches Ziel der juristischen Arbeit ist also der Nachweis des groben Behandlungsfehlers. Steht ein solcher fest, sind die Erfolgsaussichten besonders gut. Steht er nicht fest, müssen die sonstigen Umstände besonders günstig sein, um die Sache zu gewinnen.

Schließlich können alle Ansprüche auch auf einen Aufklärungsmangel gestützt werden. Bei einer Geburt muss immer die Frage beantwortet werden, ob der natürlichen Geburt oder dem Kaiserschnitt der Vorrang eingeräumt wird. Die Aufklärung muss so rechtzeitig geschehen, dass die Gebärende dies noch entscheiden kann. Das kann oft auch noch unter der Geburt rechtzeitig sein. Allerdings bestimmt am Ende nicht die Mutter, wie das Kind geboren wird, sondern das Kind. Befindet sich das Kind in einer ersichtlichen Notlage, hat der Geburtshelfer die Geburt schnellstmöglich durchzuführen, selbst wenn der vorher geäußerte Wille der Gebärenden dagegen stünde. Oft wenden die Geburtshelfer ein, dass die Schwangere unter allen Umständen die Geburt auf natürlichem Wege angestrebt hätte und daher der Kaiserschnitt nicht zeitnah durchgeführt wurde. Der Mutter wird quasi vorgeworfen, selbst Schuld an der Situation zu sein. Dem ist auf jeden Fall entgegenzutreten. Denn der Wunsch eine Geburt auf bestimmten Weg durchzuführen, ist nur solange nachzukommen, solange keine Gefahr für Leib und Leben der Mutter und des Kindes besteht.

Im Übrigen werden die Aufklärung und die dann erfolgte Einwilligung von den Behandlern oft dazu benutzt, die Schuld dem Patienten zuzuschieben. Er habe das ja genau so gewollt und habe gewusst, welches Risiko der Eingriff mit sich bringe und sich dann dafür entschieden. Wenn das Risiko dann eintrete, könne er sich nicht beschweren. Hier wird oft übersehen, dass eine Auskunft über die Höhe des Risikos gar nicht stattgefunden hat und eine Verharmlosung des Risikos für die Zustimmung zugrunde lag, die dann rechtsunwirksam wäre. Auch kann ein Behandlungsfehler nie durch eine ärztliche Aufklärung entschuldigt werden. Über ärztliche Fehler die möglicherweise gemacht werden könnten, lässt sich vorher nicht wirksam aufklären.

Liegt ausschließlich ein Aufklärungsfehler vor und kein Behandlungsfehler sind die Aussichten das Verfahren zu gewinnen eher gering. Das liegt daran, dass die Gegenseite immer behaupten wird, dass selbst bei richtiger Aufklärung keine andere Entscheidung erfolgt wäre und sich nichts am Behandlungsverlauf geändert hätte. Diesen sogenannten Entscheidungskonflikt muss der Patient plausibel darlegen. Daher kommt es auf die Glaubwürdigkeit der Mutter bei der mündlichen Befragung durch das Gericht an. Hier tendieren die Gerichte eher dazu, den vom Patienten geäußerten Entscheidungskonflikt für unplausibel zu halten, so dass eine Klage, alleine gestützt auf den Aufklärungsfehler eher keine hohen Erfolgsaussichten hat.

Fazit

Das Wesentliche im Geburtsschadensrecht ist der Optimismus auch unter schwierigen Gegebenheiten und langandauernden Verfahren am Ende sein Ziel die Verurteilung des Schädigers zu erreichen. Richtig ist, dass die Durchsetzung von Arzthaftungsansprüchen schwierig ist und viele Hürden genommen werden müssen. Aber wie sich in zahllosen Fällen zeigt, ist es auch nicht unmöglich. Die drei wesentlichen Faktoren für ein Obsiegen sind entscheidend: 1. Kenntnis des Sachverhaltes, 2. Kenntnis des medizinischen Standards in jeweiligen Bereich sowie 3. ein erfahrener und engagierter Einsatz des Rechtsanwaltes.

Zum Autor:

Rechtsanwalt Christian Lattorf ist seit vielen Jahren auf dem Gebiet des Geburtsschadensrechts und noch länger auf dem Gebiet des Arzthaftungsrechts auf der Patientenseite tätig. Da seine Kanzlei auf große Schadensfälle spezialisiert ist und konsequent kleinere Schmerzensgeldangelegenheiten ablehnt, ist sie in der Lage, sich intensiv in die Angelegenheit einzuarbeiten und den medizinischen Sachverhalt juristisch zusammen mit dem betroffenen Patienten und Eltern aufzuarbeiten. Die Kanzlei ist deutschlandweit für medizingeschädigte Patienten tätig.

 

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